Annemarie Gieshoidt hat die trockene Form der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Obwohl diese nicht heilbar ist, bleibt die Rentnerin immer positiv. Im Interview spricht sie über ihren Alltag und gibt Tipps für andere Betroffene.
Frau Gieshoidt, bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich bin 85 Jahre alt und lebe seit dem Tod meines Mannes vor 13 Jahren in einem Doppelhaus voller befreundeter Frauen. Jede hat ihre eigene kleine Wohnung, aber wir haben uns versprochen, uns gegenseitig zu helfen. So ist keine von uns allein, doch jede führt ihren eigenen Haushalt. Ich fühle mich sehr wohl und gut aufgehoben. Das gibt mir Sicherheit, auch weil ich durch meine Sehbehinderung viele Dinge nicht mehr so gut allein kann.
Wie machte sich die AMD bei Ihnen bemerkbar und wie und wann wurde diese diagnostiziert?
Ich mache das an meinem 80. Geburtstag fest. Den habe ich mit vielen Gästen gefeiert. Die Begrüßungsrede habe ich selbst geschrieben und auch die Tischkärtchen händisch mit Namen versehen. Da war mein Sehvermögen noch gut genug, um all diese Dinge problemlos zu tun. Seitdem ging es aber leider kontinuierlich bergab. Erst stellte sich der graue Star ein. 2016 habe ich an beiden Augen die OPs gehabt. Danach sah ich zwar klarer, das Lesen wurde jedoch nicht besser. Mein Augenarzt sagte mir dann, dass ich kleine Drusen an den Augen hätte und dass man das beobachten müsse. Halbjährlich war ich bei der Kontrolle und die Drusen wurden leider immer größer, und schließlich hat er eine trockene AMD diagnostiziert.
Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie dachten, als der Arzt Ihnen erklärte, an welcher Erkrankung Sie leiden?
Mein Arzt hat mir das alles sehr gut erklärt. Und als ich nachfragte, ob es eines Tages dunkel um mich herum wird, sagte er: „Der Unterschied eines Blinden zu einem AMD-Patienten besteht darin, dass der Blinde sich Brötchen vom Bäcker holen lassen muss, während ein AMD-Patient seine Brötchen noch selbst holen kann.“ Diesen Vergleich finde ich sehr passend. Seit der Diagnose vor drei Jahren wurde meine Sehkraft immer weniger. Ich habe heute noch 2 Prozent Sehkraft auf einen Meter Entfernung, kann aber meine Umwelt wahrnehmen, mich orientieren, selbstständig einkaufen gehen und meinen Alltag bewältigen. Auch wenn die Krankheit nicht heilbar ist, bleibe ich dennoch positiv und genieße das Leben trotzdem.
Wie kommen Sie im Alltag zurecht? Womit behelfen Sie sich?
Ich habe eine spezielle Brille mit Prismen, eine Lupe und ein Gerät, das ich mir an die Brille stecke und das mir dann vorliest, was es sieht. Die Zeitung lese ich über die Vorlesefunktion am Tablet. Ich kann jedem auch nur die Blindenhörbücherei empfehlen. Über ein spezielles Gerät kann man die CDs, die einem kostenlos zugeschickt werden, hören. Über WhatsApp und E-Mail bin ich mit meiner Verwandtschaft und meinen Freunden verbunden. Das musste ich mir auf meine alten Tage alles neu aneignen. Aber es lohnt sich. Ich möchte schließlich weiterhin am Leben teilhaben.
Sie sind so eine lebensfrohe, offene Frau – trotz Sehbehinderung. Was möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste ist wohl, nicht zu verzweifeln. Das Leben ist schön, auch wenn man nicht mehr gut sieht. Dafür bilden sich die anderen Sinne mehr aus. Ich höre, rieche und taste viel besser als früher. Der Körper hilft einem. Zudem sollte man Hilfsmittel, die einem zur Verfügung stehen, nutzen. Beispielsweise von der Akademie des Sehens. In den Mappen, die der Augenarzt seinen Patienten geben sollte, stehen alle Informationen mit Hilfen für den Alltag. Das hilft Betroffenen sehr. Und ganz wichtig: Man muss sich outen. Ich habe so einen Button, den man anstecken kann: drei schwarze Punkte auf gelbem Grund. So erkennt jeder, dass ich eine Sehbehinderung habe, und jeder ist bereit zu helfen. Also: Positiv bleiben, offen sein und Hilfe annehmen – das ist mein Rat an alle Betroffenen.
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Weitere Informationen finden Sie unter muenster.org/akademie-des-sehens