Dr. Meier
Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Neurologen (BDN)
Die Covid-19-Pandemie ist nicht die erste Pandemie, aber die Erste in einer globalisierten Informationsgesellschaft. Wir können in Echtzeit zusehen, wie Wissenschaftler in aller Welt wie im Zeitraffer so schnell so viel Wissen ansammeln wie nie zuvor. Die rasante Entwicklung von Impfstoffen legt davon Zeugnis ab. Und noch nie war der Dialog von Wissenschaftlern, Politikern und Medien so intensiv und Teil der täglichen Nachrichten und Sondersendungen.
In der ersten Welle der Pandemie ging es überwiegend darum, das Virus zu verstehen, wie es sich ausbreitet und wer besondere Risiken für schwere Verläufe und Komplikationen hat. Neurologische Komplikationen stehen dabei besonders im Fokus. Schon früh war klar, dass Covid-19 nicht nur eine Erkrankung der Atemwege ist, sondern eine Systemerkrankung. Bei den Covid-19-Erkrankten leiden 80 % unter neurologischen Symptomen. Etliche werden als „leicht“ bezeichnet, allerdings beeinträchtigen z.B. der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns, Müdigkeitssyndrome oder kognitive Einbußen die Betroffenen erheblich in der Lebensqualität. Über 13 % der hospitalisierten Covid-19-Patienten sind neurologisch schwer betroffen und tragen Hirnschäden davon. Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen haben eine 50 % höhere Letalität im Falle einer Erkrankung. Mit Andauern der Pandemie gewinnen wir zunehmend auch ein Verständnis von Langzeitverläufen. Auch hierbei spielen neurologische Symptome wie Fatigue eine herausragende Rolle, deren Ausmaß wir noch gar nicht absehen können. Wir haben nur ein Gehirn und aus Sicht der Neurologie haben wir es unzweifelhaft mit einem tückischen Gegner zu tun. Der Schutz vor Infektionen ist daher der Königsweg und rechtfertigt auch grundsätzlich die drastisch anmutenden Entscheidungen der Regierung, für Risikogruppen bräuchten wir sogar viel weiterreichendere Maßnahmen.
Natürlich führt das Virus, die möglichen Folgen und die politischen Maßnahmen zu Angst und Verunsicherung. Was kann jeder einzelne von uns tun? Wir wir uns und andere vor Ansteckung schützen können, ist hinlänglich bekannt. Aber auch gegen die Angst können wir etwas tun. Am Anfang steht die Informiertheit. Fakten und wissenschaftsbasierte Informationen sind ein wirksames Mittel gegen Verunsicherung und immunisieren uns auch gegen fake-news und Verschwörungsideen. Als zweites müssen wir lernen, die Situation zu akzeptieren, denn Verleugnung und Bagatellisierung schafft nur scheinbar und kurzfristig Entlastung. Niemand kann sich auf Dauer der Realität entziehen. Als Drittes sollten wir Aktivitäten planen und Gemeinschaftssinn fördern. Wer nur sein Opferbewusstein pflegt und sich täglich und immer wieder die Einschränkungen vergegenwärtigt, nährt auch sein Unglücklichsein und läuft Gefahr, genauso unglücklich und humorlos zu erscheinen wie die Verschwörungstheoretiker auf ihren Demonstrationen. So wie Wissenschaftler auf der ganzen Welt und Menschen in medizinischen Berufen sich engagieren, aber auch alle anderen Menschen, die das Funktionieren unserer Gesellschaft ermöglichen, kann jeder Einzelne Verantwortung übernehmen. Niemand hat das Virus herbeigewünscht und keiner kann es mal eben wegzaubern. Aber gemeinsam, mit Solidarität und Verantwortung, können wir als Gesellschaft und auch jeder persönlich für sich die Pandemie bewältigen. Auch im lock-down können wir Tagesabläufe strukturieren, soziale Kontakte über Telefon und Video pflegen, anderen helfen und uns engagieren. Das Gehirn ist ein soziales Organ und belohnt ein auf Gemeinschaft und auf Sinnhaftigkeit ausgelegtes Handeln nachweislich mit mehr Zufriedenheit. Wenn wir diese Einstellung pflegen, schaffen wir es leichter, unsere berechtigten hedonistischen Bedürfnisse zurückstellen. Masken sind für diese Haltung fast sinnbildlich: sehe ich darin die Einschränkung von Grundfreiheiten, bin ich unfrei. Sehe ich darin eine persönliche Verantwortung, die andere und mich schützen und damit der Gesellschaft helfen, ist dies in einem doppelten Sinne gesund für das Gehirn.