Ihr Sohn John steckte sich kurz nach der Geburt mit Herpes-Viren an. Wie passierte das?
Wie es zur Infektion kam wissen wir nicht. Das Virus wird durch Tröpfeninfektion, also durch SpeicheL übertragen. Nach unseren Informationen tragen ca 97% aller Menschen das Virus in sich.
Es gibt weder eine Impfung dagegen noch kann man die Herkunft des Virus an Hand seiner DNA zurückverfolgen. Weder meine Frau, noch Johns Bruder oder ich hatten je ein Lippenbläschen oder ähnliche Symptome, ebenso wie Verwandte, die John in den ersten Tagen besucht haben. Das „Wie“ und „Warum“ spielt für uns aber auch keine Rolle mehr, wir können es eh nicht mehr ändern.
Viele denken bei Herpes immer an die vermeintlich harmlosen Lippenbläschen. Wieso sind Herpes-Viren für Neugeborene so gefährlich?
Das Herpes Simplex Virus ist in der Lage die Blut-Hirnschranke zu passieren, welche sich erst später schließt, und im Gehirn eine Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, hervorzurufen was zu schweren Schädigungen des Gehirns, des Nervensystems, Epilepsie und im schlimmsten Fall zum Tod führen kann.
Die Infektion wurde nicht sofort erkannt. Wie äußerten sich die Symptome?
Die Zeit zwischen der Ansteckung und ersten Symptomen beträgt 5-12 Tage. Danach geschah folgendes:
John wurde zuerst unruhig, trank weniger. Dann begann er zu schreien, zu verkrampfen und die Augen zu verdrehen. Das war der Moment in dem wir uns entschieden ins Krankenhaus zu fahren.
Wann wurde die genaue Diagnose gestellt?
Nachdem die Ärzte sich John angesehen hatten nahmen sie ihn sofort auf der Neugeborenenstation auf, erstellten ein großes Blutbild und entnahmen bei einer Lumbalpunktion Flüssigkeit aus Johns Rücken. Sie erklärten uns, dass sie Diese im Labor auf alle möglichen Krankheitserreger testen lassen, die Ergebnisse aber unterschiedlich lange dauern würden, da zum Teil erst Kulturen angesetzt werden müssten.
In der Zwischenzeit wurde John prophylaktisch mit verschiedenen antibakteriellen und antiviralen Mitteln behandelt um eine weitere Verschlechterung seines Zustandes zu vermeiden, eine Maßnahme, die sich im Nachhinein als lebensrettend erweisen sollte. Nach vier Tage langen Wartens, immer wieder Infos welcher Erreger von der Liste gestrichen werden kann, kam am Ende die niederschmetternde Diagnose: Herpes Enzephalitis. Die Ärzte konnten nun das Virus bekämpfen indem sie ihm gezielt die richtigen Medikamente gaben.
Was bedeutet diese Diagnose für John und sein Leben?
Nach sechs Wochen wurde John mit starken Schädigungen des Gehirns, des Nervensystems sowie Epilepsie entlassen.
Niemand konnte uns zu diesem Zeitpunkt sagen ob er noch Tage, Wochen oder Monate leben würde. Meine Frau und ich gingen jeden Abend mit dem Wissen ins Bett, dass John am nächsten Tag nicht mehr bei uns sein könnte.
John geht zur Physiotherapie und bekommt Frühförderung.
Es kam jedoch anders als befürchtet. Meine Frau kümmert sich 24/7 um John, nach und nach konnten wir, in Rücksprache mit den Ärzten, einzelne Medikamente abstellen. Jetzt, ein Jahr nach Krankenhausentlassung, bekommt John nur noch ein Drittel der Medikamente die er zu Beginn bekam.
Unabhängig davon ist Johns Gehirn weiter stark geschädigt, er kann sich kaum selbstständig bewegen, nicht mal eigenständig sitzen. Das Immunsystem ist geschwächt, die Epilepsie wird ihn sein komplettes Leben begleiten. Hinzu kommt, dass er nichts sehen kann, da die Informationen die seine Augen „senden“ nicht verarbeitet werden können.
Wie geht es John heute und wie sieht der gemeinsame Familien-Alltag aus?
Wir glauben, dass John glücklich ist. Da er nicht sprechen oder durch kontrollierte Gesten auf sich aufmerksam machen kann müssen wir uns auf seine Mimik und die Geräusche verlassen die er von sich geben kann.
Sie können sich nicht vorstellen wie sehr wir simple Wörter wie „Mama“ oder „Papa“ herbeisehnen.
John geht zur Physiotherapie und bekommt Frühförderung um die Motorik und die nicht beschädigten Teile seines Gehirns zu fördern.
Wir müssen darauf achten, dass er rechtzeitig seine Medikamente bekommt, regelmäßige Besuche beim Kinderarzt und im Kinderzentrum des Krankenhauses zur Kontrolle der Entwicklung und der medikamentösen Einstellung gehören fast zum Alltag, ebenso wie das Wissen, dass schon eine kleine Erkältung für John gefährlicher sein kann als z.B. für seinen Bruder.
Meine Frau kümmert sich jeden Tag hingebungsvoll um John, um seinen großen Bruder und macht „nebenbei“ den Haushalt, während ich zur Arbeit gehe, und arbeitet abends, wenn ich zuhause bin, für ihr kleines Unternehmen. Ich bewundere sie dafür was sie jeden Tag schafft, doch ich habe oft Angst dass sie sich dabei selbst vergisst.
Sind Sie seit Entlassung aus dem Krankenhaus auf Hürden gestoßen, wie reagieren die Menschen auf John?
Es gibt immer Menschen die sich abwenden wenn man keine Zeit mehr für sie hat, Menschen die anfangen abfällig über Kinder reden die nicht „normal“ sind. Diese Menschen haben keinen Platz mehr in unserem Leben. Doch die meisten die von John wissen erkundigen sich nach ihm, wollen auch helfen. Auf der Straße sehen die Menschen nur ein Kind in der Trage.
Wir wünschen uns, dass die Diagnose Herpes von den Ärzten ernster genommen wird.
Das mag sich ändern wenn John größer ist. Davor habe ich Angst. Wie werden sie ihm begegnen? Die größten Hürden die wir zu nehmen hatten waren die Behördengänge um den Behindertenstatus anerkennen zu lassen, die Neuorganisation des Alltags und die Anerkennung der Pflegestufe. Es scheint, dass ein Krankheitsbild, dass nicht „auf einer Liste steht“, bei den Krankenkassen nur wenig Beachtung findet.
Wir kennen Kinder die z.B. mit Trisomie geboren wurden und gleich eine Pflegestufe bekommen haben, während wir lange kämpfen mussten um, trotz aller Diagnosen, überhaupt die Pflegestufe beantragen zu können.
Was raten Sie jungen Eltern, denken Sie, dass mehr Aufklärung nötig ist?
Wir wünschen uns, dass die Diagnose Herpes von den Ärzten ernster genommen wird, mehr Aufklärung betrieben wird, welche Gefahren gerade für Säuglinge bestehen wenn man ein „Bläschen“ hat und Dieses nicht vollständig verschwunden ist, Gespräche mit Bekannten zeigten oft, dass meist nur eine Salbe verschrieben wurde, nach dem Motto: „machen Sie die mal da drauf, in ein paar Tagen ist es weg“, ebenso sollte das Thema „Ansteckungskrankheiten“ in Geburtsvorbereitungskursen eine tragendere Rolle spielen.
Eltern möchten wir raten nicht jeden in ihren Kinderwagen gucken zu lassen, schon gar nicht fremde Menschen ihr Kind anfassen zu lassen. Das ist eine Sache die in unserer Gesellschaft für viele Menschen noch normal ist sobald sie ein Baby sehen. Nichtsdestotrotz möchten wir keine Panik verbreiten, die Herpes-Enzephalitis ist zum Glück eine relativ selten auftretende Krankheit.