Dank besserer Messmethoden, unter anderem mit hochauflösendem Ultraschall, sowie inspiriert von dem überaus erfolgreichen ersten Faszienkongress an der Harvard Medical School, Boston, im Jahr 2007 ist seitdem unter Wissenschaftlern sowie Therapeuten eine wahre Aufbruchsstimmung entstanden, dieses omnipräsente Gewebe genauer zu verstehen. Neuere Konzepte sind von dem Tensegrity-Konzept der Architektur inspiriert, in dem die Festkörper (zum Beispiel Knochen) nicht als stützendes Gerüst dienen, sondern als schwebende Abstandshalter innerhalb eines körperweiten Spannungsnetzwerkes verstanden werden. Dies führte dazu, dass heute der Faszienbegriff nicht nur die derben Membranen der klassischen Anatomie beinhaltet, sondern alle faserigen kollagenen Bindegewebe, inklusive Gelenkkapseln, Sehnen und Sehnenplatten, des Herzbeutels, der Bänder sowie des intramuskulären Bindegewebes.
Eine Hochrechnung von Professor Martin Grunwald, die auf unterschiedlichen histologischen Befunden anderer Forscher aufbaut, führte hier kürzlich zu einer fundamentalen Überraschung: Die Gesamtzahl der sensorischen Nervenendigungen im körperweiten Fasziennetz liegt bei über 100 Millionen. Damit stellen die Faszien unser reichhaltigstes Sinnesorgan für die Wahrnehmung des eigenen Körpers dar und übertreffen selbst den Sehsinn um mindestens eine Zehnerpotenz. In der menschlichen Lendenfaszie wurden zahlreiche Nervenendigungen gefunden mit einer eindeutig nozizeptiven – das heißt üblicherweise schmerzauslösenden – Funktion.
Ein präventives fasziales Rückentraining ruht auf vier Säulen.
Das legt nahe, dass ein Teil der zahlreichen Rückenschmerzen von Verletzungen sowie anderen Überlastungsschäden dieser wichtigen Bindegewebsschicht stammen könnte. Dazu passt auch der Befund, dass die Lendenfaszie bei chronischen Rückenschmerzpatienten eine verringerte Scherbeweglichkeit gegenüber der darunter liegenden Muskulatur aufweist; man könnte auch sagen, sie ist damit adhärent verbacken. Es wird auch vermutet, dass dadurch die Propriozeption – die funktionelle Wahrnehmung des Körpers im Raum und in der Bewegung – deutlich behindert ist, da so zahlreiche Bewegungssensoren, die zwischen den verklebten Schichten liegen, kaum noch ausreichende Impulse im Alltag erhalten.
Das macht den Befund einer neueren Studie bedeutsam, wonach eine myofasziale Selbstbehandlung mit einer Faszienrolle die Scherbeweglichkeit der Lendenfaszie deutlich erhöhte. Interessant: Sowohl chronischer emotionaler Stress als auch repetitive Bewegungen (üblicherweise ab 20.000 Wiederholungen pro Woche) können die Faszien sensibilisieren oder gar schädigen. In beiden Fällen bewirkt dies eine verminderte Druckschmerzschwelle der faszialen Gewebe. Bei den repetitiven Bewegungen handelt es sich jedoch um ein lokales Phänomen, das häufig mit entzündlichen Ödemen im Gewebe verbunden ist.
Beim Stress hingegen handelt es sich um eine ganzkörperweite neurale Sensitivierung. Ein präventives fasziales Rückentraining ruht üblicherweise auf vier Säulen: Selbstbehandlungen mit Faszienrolle und Co., rekelnde Dehnungen langer Faszienketten, federnde Bewegungen sowie ein sinnliches Wahrnehmungstraining. Bei den Faszienrollen gibt es seit Kurzem auch solche mit eingebautem vibratorischem Kern.
Hierzu legen zwei Studien nahe, dass durch die zusätzliche Vibration sowohl die Beweglichkeitsförderung der üblichen Rollenanwendung als auch die regenerative Wirkung (nach anstrengendem Sport) deutlich gesteigert werden. Das ist nicht verwunderlich, da bereits Studien mit anderen vibratorischen Werkzeugen gezeigt hatten, dass diese eine Durchblutungssteigerung, einen verstärkten zellulären Stoffwechsel sowie eine verbesserte Wundheilung bewirkten.