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    „Achtsamkeit ist mein Universalwerkzeug“

    Foto: Privat

    Kirsten Schneider ist Illustratorin und Buchautorin und leitet die Öffentlichkeitsarbeit und Art Direction im Patientenverein CHRONISCH GLÜCKLICH e. V. Sie weiß ganz genau, wie es ist, mit einer chronischen Erkrankung zu leben, denn sie ist von gleich zwei Autoimmunerkrankungen betroffen. Wir sprachen mit ihr über Bauchmonster, Löffel und Krankheiten, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.

    Liebe Kirsten, du bist gleich von zwei Autoimmunerkrankungen betroffen und lebst mit Morbus Crohn und Multipler Sklerose. Kannst du uns kurz erzählen, wann du deine Diagnosen bekommen hast und was danach in dir vorgegangen ist?

    2014 habe ich die Diagnose Morbus Crohn erhalten, da war ich gerade 23 Jahre alt. Das ging einher mit Panik und Ungewissheit, aber trotzdem auch Erleichterung, da meine Beschwerden nun einen Namen hatten und es dafür ja auch Behandlungsmöglichkeiten gibt. Für mich waren chronische Erkrankungen Neuland. Wenn man selbst nicht betroffen ist, kann man auch noch so viele Betroffene im Familien- und Freundeskreis haben; in welchem Ausmaß die Erkrankung das eigene Leben auf den Kopf stellt, das erfährt man nur, wenn man sich plötzlich damit auseinandersetzen muss, nie wieder gesund zu werden. Ich habe dann in den nachfolgenden Jahren irgendwie lernen müssen, auf meinen Körper, meine Gesundheit und Psyche besser achtzugeben und eine Balance zu finden zwischen Leben und Krankheit. 

    Aber dann wurde mir im Sommer 2021 mit der neuen Diagnose Multiple Sklerose der Boden unter den Füßen weggezogen. Dieses Mal auch etwas heftiger als beim ersten Mal. Ich war wütend, traurig und hilflos. So sehr, dass ich erst einmal ein paar Wochen in einer psychosomatischen Klinik war, um wieder neuen Lebensmut finden zu können. Mir fällt es aber immer noch schwer, die Diagnose anzunehmen.

    Beide Erkrankungen können das Leben sehr beeinträchtigen. Wie sieht dein Alltag mit CED und MS aus, und kannst du uns in dem Zusammenhang erklären, was es mit der „Löffeltheorie“ auf sich hat? 

    Chronische Erkrankungen bedeuten fast immer einen riesigen Managementaufwand. Ich muss an die regelmäßige Einnahme meiner Medikamente denken, darauf achten, dass mein Medikamentenvorrat auch gut gefüllt ist, regelmäßige Kontrolltermine bei meinen Ärztinnen und Ärzten wahrnehmen, mich mit meiner Krankenkasse auseinandersetzen, auf meine Ernährung achten etc. Das führt fast zwangsläufig zu Stress, und dem versuche ich dann mit Achtsamkeit und Bewegung zu begegnen. Zu viel Stress kann nämlich leider auch Schübe auslösen, ein Teufelskreis.  

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    Aber vor allem schränken mich meine Erkrankungen in meiner Spontanität ein. Ich gehe selten auf Veranstaltungen, wenn ich nicht weiß, wie die Toilettensituation vor Ort ist. Ich muss Freunden spontan absagen, weil ich mit starken Bauchschmerzen nicht die Wohnung verlassen kann. Ich kann an Essenseinladungen nicht teilnehmen, weil es auf der Speisekarte kein Gericht gibt, das mich nicht sofort auf die Toilette treiben würde. Oder ich wache schon morgens völlig erschöpft auf. Das ist dann auch nicht die Müdigkeit, die eigentlich jeder kennt, sondern eine bleierne Schwere, die es mir fast unmöglich macht, am Leben teilzunehmen. Die auch nicht mit einem Schläfchen wieder ausgeglichen werden kann. Fatigue ist ein sehr häufiges Begleitsymptom bei Morbus Crohn und gerade auch bei Multipler Sklerose. 

    Die sogenannte Löffeltheorie ist ein Versuch, das Leben mit chronischer Erkrankung, inklusive einhergehendem Tagesmanagement und Fatigue, zu veranschaulichen. Im Jahr 2003 hat die amerikanische Bloggerin Christine Miserandino die Löffeltheorie ins Leben gerufen, um in einem Café ihrer besten Freundin erklären zu können, wie das Leben mit einer unsichtbaren Behinderung denn so ist. Löffel stehen hier stellvertretend für eine Menge X an Energie. Gesunde Menschen starten mit unbegrenzten Löffeln in den Tag, chronisch kranke Menschen haben nur eine begrenzte Menge an Löffeln zur Verfügung. In Christines Beispiel waren es zwölf Löffel für einen Tag. Aufstehen, Anziehen, Zähne putzen, frühstücken – das alles ist anstrengend und kostet Energie. So sind allein morgens vor der Arbeit bereits vier Löffel weg und die verbliebenen wollen gut aufgeteilt werden, um nicht irgendwann ohne Löffel dazustehen. Daher steht man im Laufe des Tages immer wieder vor Entscheidungen wie „Einkauf oder Abendessen zubereiten?“ Sehr wahrscheinlich gibt es nicht mehr genug Löffel für beides, also muss gründlich abgewägt werden.

    Die Löffeltheorie hat sich so bewährt, dass sich heute viele chronisch kranke Menschen im Internet als Spoonies (dt.: Löffelchen) bezeichnen.

    Beide Erkrankungen sind nicht auf den ersten Blick sichtbar, obwohl sie den Körper enorm schädigen können, aber eben von innen. Hast du auch schon mal den Satz „Du siehst aber gar nicht krank aus!“ zu hören bekommen, und wie gehst du mit solchen Aussagen um?

    Schulterzucken und „Bin ich aber“ entgegnen. Ich bin da etwas stur und erwarte einfach, dass man das akzeptiert. So direkt hat mir das aber auch zum Glück bisher keiner gesagt. Ich merke aber immer wieder im Alltag, dass gesunde Mitmenschen „vergessen“, dass ich krank bin, und gewisse Erwartungen an mich haben, die ich nicht erfüllen kann. Man sieht mir meine Erkrankung ja nicht an. Mich ständig rechtfertigen zu müssen, ist anstrengend, aber ich habe das Glück, sehr verständnisvolle Menschen in meinem Umfeld zu haben, die versuchen, so gut es geht zu verstehen und/oder Rücksicht zu nehmen. 

    Was hilft dir persönlich, wenn der Löffelvorrat zur Neige geht und dein Bauchmonster dich stresst? Welche Rolle spielt da das Thema Achtsamkeit für dich?

    Achtsamkeit ist mein Universalwerkzeug, um das Leben mit MC und MS überhaupt gut meistern zu können. Dabei geht es dann auch nicht nur um Yoga oder beruhigende Atemübungen, sondern darum, den achtsamen Blick auf die eigenen Bedürfnisse nicht zu verlieren. Gerade in der Hektik des Alltags neige ich dazu, mich selbst hintenanzustellen, um den Bedürfnissen anderer gerecht zu werden. Achtsamkeit hilft mir, zwischendurch mal „Stopp!“ sagen zu können, innezuhalten und zu überprüfen, ob ich mir hier gerade etwas Gutes tue. Sodass ich dann gegebenenfalls einlenken kann, um den Stresspegel nicht zu hoch zu treiben.

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    Du engagierst dich im Patientenverein CHRONISCH GLÜCKLICH e. V. und deine fabelhaften Illustrationen beschäftigen sich oft mit deinem Leben als CED-Betroffene. Was ist dein Antrieb für dieses Engagement?

    Das fing alles an als eine Art Therapie für mich, um Erlebtes zu verarbeiten. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass ich dadurch Gleichgesinnte erreichen kann, und schöpfe heute ganz viel Kraft aus dem Austausch mit anderen Spoonies. Ich habe über mein Netzwerk bei Instagram einige, mittlerweile enge, Freundschaften geschlossen, für die ich sehr dankbar bin. Das sind Menschen, die genau wissen und mitfühlen können, wie belastend das Leben mit chronischer Erkrankung sein kann. Ich habe mich nach meiner Diagnose wahnsinnig einsam und hilflos gefühlt, und wenn ich durch meine Arbeit auch nur einer/einem Neuerkrankten dieses Gefühl ersparen kann, dann bin ich zufrieden.

    Buchtipp

    „Ach du Scheiße!“ – das waren die Wörter, die Kirsten Schneider herausgerutscht sind, nachdem sie ihre Diagnose Morbus Crohn erhalten hat. Da sie selbst erst einmal auf die Suche nach Informationen zu ihrer Erkrankung gehen musste, hat sie sich entschieden, zusammen mit dem Verein CHRONISCH GLÜCKLICH e. V. ein Buch zu schreiben – um frisch diagnostizierten Betroffenen eine lebensnahe Hilfe an die Hand zu geben. Dabei geht Kirsten auf viele verschiedene Fragen ein, die Betroffene umtreiben, und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Ihre wunderbaren Illustrationen machen dieses Buch zu einem sehr informativen und lebensnahen Begleiter, der immer versucht, CED-Patient*innen zu zeigen, wie das Leben trotz Erkrankung gelingen kann und wo man Hilfe findet – nicht zuletzt im Austausch mit anderen Betroffenen, den Bauchfreunden, von denen auch einige im Buch vorgestellt werden.

    Ein Exemplar können Sie, liebe Leser, gewinnen! 

    Senden Sie uns eine E-Mail mit dem Betreff „Ach du Scheiße!“ an [email protected]!

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