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    Neurogene Blasenentleerungsstörung:
    „Ich habe bis heute nicht das Gefühl, zur Toilette gehen zu müssen.“

    FOTO: Pearl PhotoPix via shutterstock.com

    Monika Grewe-Laufer (53) ist von einer neurogenen Blasenentleerungsstörung mit Detrusor-Sphinkter-Dyssenergie betroffen und spricht mit uns ganz offen über die Herausforderungen im Alltag bei Inkontinenz und gibt anderen Betroffenen nützliche Tipps.

    Was war die erste Situation, in der Ihnen bewusst wurde, dass etwas nicht stimmt?

    Ich hatte eine Unterleibsoperation Anfang Oktober 2016, bei der irgendetwas nicht so verlief, wie es normal gewesen wäre. Als nach der Operation der Blasenkatheter entfernt wurde, hatte ich kein Gefühl mehr für meine Blase und deren Füllungszustand. Plötzlich war nichts mehr wie vor der Operation: Ich habe bis heute nicht das Gefühl, zur Toilette gehen zu müssen. Und wenn ich gehe, dann ohne zu wissen, ob meine Blase tatsächlich entleert ist.

    Wie verlief darau in die Untersuchung beim Arzt?

    Die Klinikärzte sahen zunächst keine Notwendigkeit, einen Urologen hinzuzuziehen, sie konsultierten stattdessen einen Psychologen. Erst Tage nach meiner Entlassung war ich erstmals bei einem Urologen. Dieser schickte mich auch zu anderen Fachkollegen und zum Neuro-Urologen eines Beckenbodenzentrums. Es wurden viele verschiedene Untersuchungen durchgeführt, bis ich meine Diagnose bekam.

    Haben Sie im Anschluss mit Ihrer Familie und Freunden darüber gesprochen? Wie haben sie das aufgefasst?

    Mein Mann unterstützte mich von Anfang an. Unsere drei Kinder bekamen meine Inkontinenz auch bald mit. Mein Leben veränderte sich grundlegend. Ich habe meinen geliebten Beruf als Gymnasiallehrerin aufgeben müssen und war dann immer nur zu Hause oder bei Ärzten. Unserer ältesten Tochter war ich „so peinlich“, dass sie mich damals partout nicht bei ihrem Abschlussball des Tanzkurses dabeihaben wollte. Ich denke heute, dass sie mit der Situation überfordert war. Ich war damals häufi g wirklich „missmutig“ gestimmt und frustriert, weil ich mich so hilfl os und allein fühlte. Der „erweiterten Familie“ und Freunden traute ich mich nicht von meiner Inkontinenz zu erzählen, nachdem meine Kollegen spontan sehr distanziert reagiert hatten. Ich denke bis heute, dass dieses Thema absolut nichts für jede Gemeinschaft und für jeden Anlass ist; es ist eben ein sehr intimes.

    Wie gehen Sie im Alltag mit Ihrer Inkontinenz um, und was hilft Ihnen dabei?

    Ich habe wegen der Blasenentleerungsstörung einen Dauerkatheter. Ansonsten trage ich saugfähige Pants, die ich mehrfach am Tag wechsele. Sehr gut hilft mir auch eine Akupunkturbehandlung. Problematisch ist die Pfl ege der Haut, die unter der Inkontinenz extrem leidet. Ich brauche bei allen Tätigkeiten die Möglichkeit, regelmäßig eine Pause einlegen zu können.

    Zu Hause ist die Inkontinenz für mich kein Problem mehr. Aber vieles außerhalb der Wohnung ist oft stresssig: Ständig trage ich eine Tasche mit Wechselkleidung und Vorlagen herum. Ich sitze ungern auf Polstermöbeln. Ich besuche keine Konzerte, Kinos oder Theater und öff entliche Sportstätten mehr. Bei öff entlichen Toiletten und Toiletten in Restaurants gibt es Probleme, wenn diese eng und verschmutzt sind und kaum Möglichkeiten bieten, sich umzuziehen. Längere Autofahrten und Urlaubsreisen sind für mich auch ein Problem. Reisen ins Ausland unternehme ich nicht mehr, und wir gehen nur noch selten aus.

    Schwierig sind termingebundene Arztbesuche und Behördengänge: Ich plane z. B., wie viel ich bis wie lange vor einem Termin trinken kann und in welchem Zeitfenster ich eine Toilette aufsuchen muss.

    Welchen Rat möchten Sie anderen Betroff enen geben, und was kann die Gesellschaft beisteuern?

    Zuallererst ist wichtig, mit dem Hausarzt über seine Inkontinenz zu sprechen und die Ursachen unbedingt auch urologisch abklären zu lassen. Dabei darf man sich nicht „abwimmeln“ lassen! Beckenbodenzentren bieten auch eine sehr gute, fachübergreifende Anlaufstelle. Mir hat es sehr geholfen, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und an Treff en teilzunehmen. Ich bin über die Inkontinenz Selbsthilfe e. V., welche ein Forum für den Austausch Betroff ener bietet, darauf aufmerksam geworden. Hilfreich kann es sein, mit engen Vertrauten und auch mit Vertrauenspersonen bei der Arbeit darüber zu sprechen und sich zu informieren, z. B. bei der Woche der Inkontinenz. Ich empfehle, sich einen Euro-Toilettenschlüssel für unterwegs zu besorgen. Ich fände es gut, wenn der Ausbildungsgang der Ärzte einen anderen Schwerpunkt auf die Inkontinenz legen könnte: Ich habe verschiedene Ärzte und Therapeuten unterschiedlicher Fachrichtungen getroff en, die sich mit Inkontinenz nicht auskannten, die sich vor mir zu ekeln schienen und eine Behandlung so kurz wie möglich durchführten. Und ich wünsche mir von Apotheken und Versorgern, dass z. B. Hilfsmittel an die Betroff enen grundsätzlich neutral verpackt ausgeliefert würden und dass Beratungen immer diskret ablaufen, was häufi g nicht der Fall ist.

    Ich wünsche mir, dass grundsätzlich off ener und respektvoller mit dem Thema und mit den Betroff enen umgegangen wird, dass man ihnen mit weniger Vorurteilen begegnet. Inkontinenz ist keine Krankheit des fortgeschrittenen Alters, sondern kann ein Symptom vieler anderer Erkrankungen sein und jedes Lebensalter betreff en! Und Inkontinenz ist häufi g behandelbar. Man darf sich nicht aufgeben!

    Inkontinenz Selbsthilfe e.V.

    Die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. ist ein eingetragener, gemeinnützig anerkannter und ehrenamtlich tätiger Selbsthilfeverein, der im Jahr 2006 aus der eigenen Betroffenheit gegründet wurde. Neben Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit bietet der Verein die Möglichkeit zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch unter Betroffenen. Zudem setzt sich die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. auf unterschiedlichen Ebenen für die Interessen der Betroffenen ein.

    Inkontinenz Selbsthilfe e.V.

    www.inkontinenz-selbsthilfe.com

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