Dr. Sarah Straub ist Autorin, Liedermacherin und Psychologin. In ihrem beruflichen Alltag beschäftigt sie sich tagtäglich mit an Demenz erkrankten Personen. Warum sie sich für diesen Beruf entschied und warum sie insbesondere pflegende Angehörige stärken möchte, erzählt sie uns im Interview.
Frau Dr. Straub, Ihre Großmutter ist an Demenz erkrankt, als Sie 20 Jahre alt waren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich habe meine Großmutter über alles geliebt und stand ihr sehr nah. So hat ihre schwere Demenz nicht nur ihr, sondern auch mein Leben grundlegend verändert. Ich wollte für sie da sein, ihr auch mit ihrer Demenz ein gutes Leben ermöglichen und sie selbst pflegen. Doch als pflegende Angehörige war ich, ohne Wissen über die Erkrankung, oft überfordert.
Heute sind Sie Psychologin, Liedermacherin und Autorin. Hat der private Umgang mit Demenz Sie in Ihrem beruflichen Werdegang beeinflusst?
Ich wusste schon als Kind, dass ich Sängerin und Liedermacherin werden wollte und tat alles dafür. Die Demenzerkrankung meiner Großmutter führte allerdings dazu, dass parallel auch das Thema Demenz zu meinem Lebensmittelpunkt wurde. Nach meinen schmerzhaften Erfahrungen als pflegende Angehörige beschloss ich, mich dafür einzusetzen, dass andere betroffene Familien nicht dasselbe erleben müssen wie ich zuvor. Ich ging neben meiner Arbeit als Musikerin in die Demenzforschung, promovierte über das Thema und begleite seitdem Demenzpatienten und ihre Angehörigen durch die Erkrankung.
In Ihrem Buch „Wie meine Großmutter ihr ICH verlor“, das 2021 erschien, erzählen Sie von Ihrer Erfahrung und geben Angehörigen Tipps. Was war ausschlaggebend für Sie, zu schreiben?
Vielen von Demenz betroffenen Familien geht es leider genauso wie mir damals, als meine Großmutter erkrankt war. Die Menschen, die mich in meiner Gedächtnissprechstunde am Universitätsklinikum Ulm aufsuchen, mich auf meinen Konzerten ansprechen oder mir Mails schreiben, fühlen sich häufig alleingelassen und überfordert. So wurde es zu einer Herzensangelegenheit, all das aufzuschreiben, was ich für wichtig erachte, damit sich nahestehende Personen von Menschen mit Demenz gut informiert und vor allem gut vorbereitet fühlen für ein Leben mit dieser Erkrankung.
Welchen Rat haben Sie für Angehörige, die vermuten, dass ein Familienmitglied an Demenz erkrankt ist? Gibt es eindeutige Hinweise?
Wir alle vergessen mal etwas, das ist noch kein Grund zur Panik. Dennoch verständlich, dass wir ab einem gewissen Alter hellhörig werden in solchen Situationen – weil die häufigste Demenzform, die Alzheimer- Demenz, eben meist genau mit solchen Gedächtnisstörungen beginnt. Hinweise auf einen demenziellen Prozess ergeben sich, wenn die beobachteten Defizite mindestens sechs Monate bestehen, schleichend begonnen haben und in ihrem Ausmaß zunehmen. Außerdem beeinträchtigen diese Veränderungen mit der Zeit auch eigentlich routinierte Alltagsaktivitäten. Dann wird es Zeit, einen Arzt aufzusuchen. Ich möchte jedoch nicht unerwähnt lassen, dass eine Demenz auch mit ganz anderen Symptomen beginnen kann: mit Verhaltensauffälligkeiten, einer Wesensänderung oder Sprachstörungen beispielsweise. Demenz hat viele Gesichter und betrifft nicht nur hochbetagte Menschen. Es ist wichtig, dass wir auch für solche selteneren Demenzformen sensibilisiert werden, und da hilft es, wenn betroffene berühmte Persönlichkeiten damit an die Öffentlichkeit gehen.
Zurzeit erleben wir das am Beispiel des Schauspielers Bruce Willis, der an einer frontotemporalen Demenz leidet.
Wie und wo sollte eine Diagnose gestellt werden? Was sollten Angehörige dabei beachten?
Die Diagnose sollte unbedingt von einem Facharzt, einem Neurologen oder Psychiater, im Idealfall vielleicht sogar in einer spezialisierten Gedächtnissprechstunde gestellt werden. Angehörige sollten unbedingt auf eine differenzierte Einordnung bestehen, einschließlich MRT, einer ausführlichen neuropsychologischen Testung sowie verschiedensten Laboranalysen aus Blut und Nervenwasser.
Gibt es Therapiemöglichkeiten für Demenz? Was ist aus Ihrer Sicht für Betroffene besonders wichtig?
Es gibt noch keine Medikamente, welche die Erkrankung stoppen oder gar heilen könnten. Aber die Betroffenen können mithilfe verschiedenster nicht-medikamentöser Therapien den Abbauprozess nachweislich verlangsamen. Einer Demenz muss man aktiv und mutig entgegentreten, um Ressourcen zu stärken und Fähigkeiten zu stabilisieren. Dies gelingt beispielsweise mit Ergo- oder Logopädie, aber auch vielen weiteren Therapieformen. Außerdem ist es auch für einen gesunden Lebensstil nie zu spät.
Viele berichten, dass sich das Verhalten von Demenzkranken verändert, z. T. auch aggressiv wird. Wie können Angehörige und auch Pflegepersonal dem begegnen?
Niemand wird ohne Grund aggressiv. Es besteht immer eine Not, welcher die Menschen mit Demenz aufgrund ihrer kognitiven Defizite hilflos ausgeliefert sind. Unser aller Aufgabe ist es, (im besten Fall) die Ursache für die Not zu finden, wertschätzend zu bleiben und auf das Verhalten nicht verletzt oder ebenso aggressiv zu reagieren. Häufig hilft es, die Aufmerksamkeit der Betroffenen sanft umzulenken.
Ihr neues Buch heißt „Wohlfühlküche bei Demenz“. Was war Ihre Intention beim Schreiben? Welche Rolle spielt das Essen bzw. die Ernährung für Demenzkranke?
Das Essverhalten von Menschen mit Demenz ändert sich auf vielfältige Weise. Beispielsweise essen manche Betroffene grundsätzlich zu wenig, andere wollen nur noch Süßes, bei so manchem erschweren Schluckstörungen das Essen, oder eine belastende innere Unruhe verhindert, überhaupt am Tisch zu sitzen. Mein Buch soll von Demenz betroffene Familien stärken, das gemeinsame Essen als Genussmomente zu erleben. Hierfür gehen die zusammengestellten Gerichte auf unterschiedliche Bedürfnisse der Patienten ein, sind aber für die ganze Familie lecker und fördern so die Teilhabe der Betroffenen am Familienleben.
Sie sind in diesem Jahr nicht nur mit vielen Lesungen unterwegs, auch als Musikerin gehen Sie auf Tournee. Welche Rolle spielt die Musik für Sie? Fließen auch hier Ihre Erfahrungen mit Demenz mit ein?
Die Musik ist ein wichtiges Ventil, um mich auszudrücken. Daher fließen meine Begegnungen mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen natürlich auch in meine Kompositionen ein. Das Lied „Schwalben“ beispielsweise, welches ich als Duett mit dem Liedermacher Konstantin Wecker veröffentlicht habe, habe ich bewusst als Hommage an pflegende Angehörige geschrieben. Ich will diesen starken, wunderbaren Menschen ein Gesicht in der Öffentlichkeit geben.
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