Werner Zinkand ist Präsident des internationalen MPN Advocates Network und setzt sich seit vielen Jahren für die Interessen der Menschen mit Polycythaemia vera (PV) ein. Als Betroffener sprach er mit uns im Interview über die Ungewissheit nach der Diagnose und warum der Austausch mit Betroffenen hilfreich sein kann.
Werner Zinkand
Präsident des internationalen MPN Advocates Network mpn-advocates.net
Herr Zinkand, wie geht es den Patienten nach der Diagnose PV?
Eine PV ist eine sehr seltene Erkrankung, man hat noch nie von ihr gehört. Eine PV ist eine bösartige, unheilbare Krankheit, die chronisch ist. Das heißt, man hat sie für den Rest des Lebens. Mit der Diagnose ändert sich von heute auf morgen alles radikal. Zuerst ist man überfordert, will möglichst viel wissen. Man googelt und stößt schnell auf den Begriff Blutkrebs – das ist der nächste Schock. Dann fragt man sich, wie lange man noch zu leben hat. Ich bekam meine Diagnose 2011, war 58 Jahre alt. Jüngere Patienten mit kleinen Kindern oder finanziellen Verpflichtungen machen sich nach der Diagnose berechtigte Sorgen. Wie wird alles weitergehen? Diese Ungewissheit ist schwer zu ertragen. Man weiß auch, dass die Krankheit voranschreitet, das kann langsam, aber in manchen Fällen auch schnell geschehen.
Wann sollte eine Zweitmeinung eingeholt werden?
Bei einer seltenen Krankheit ist eine Zweitmeinung grundsätzlich sinnvoll. Die Krankheit verläuft sehr individuell, es empfiehlt sich deshalb, einen Experten zu konsultieren. Ein Experte hat Erfahrung mit verschiedenen Verläufen, mit den diversen Medikamenten, kennt auch Studien, die neue Medikamente erproben. Aktuell tut sich viel für uns. Experten und Behandlungszentren findet man bei der deutschen Studiengruppe: www.cto-im3.de/gsgmpn/Zentren.html
Worauf kommt es bei der Arzt-Patienten-Kommunikation an?
Ein gutes Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist wichtig, man sieht sich schließlich viele Jahre. Der Arzt sollte sich Zeit nehmen – der Patient hat noch nie von Polycythaemia vera gehört, hat entsprechend viele Fragen. Nach solch einer Diagnose steht man neben sich, wie man so sagt. Ich hatte Glück: Mein Arzt bat mich, meine Frau zum Gespräch mitzubringen. Er nahm sich eine ganze Stunde, beantwortete all unsere Fragen. Das schafft Vertrauen.
Leider gibt es aber immer noch Ärzte, die nicht bereit sind, ausführlicher mit dem Patienten zu sprechen, die ihn mit einer solchen Diagnose nicht auffangen. Manche Ärzte mögen keine mündigen Patienten. Wir empfehlen dann wenn möglich – sich einen anderen Arzt zu suchen.
Was raten Sie Betroffenen zum Thema Lebensqualität?
Mir wurde anfangs leider gesagt, dass ich mit dieser Diagnose allein sei. So habe ich mich dann auch gefühlt. Im Internet fand ich aber bald einen PV-Patienten, der in München eine Selbsthilfegruppe gegründet hat. Dort lernte ich weitere Betroffene kennen. Wir tauschten unsere Erfahrungen aus – das hat mir sehr geholfen, gab mir Orientierung. Empfehlenswert sind auch die regelmäßigen Patiententage, bei denen Experten sprechen. Im Internet gibt es verschiedene Gruppen, sehr gut ist das deutsche MPN-Netzwerk, das Kontakte, Austausch, aktuelle Informationen und Fortbildung anbietet. Angehörige sollten ebenfalls an Arztgesprächen und Selbsthilfegruppen teilnehmen. Gemeinsam kann man vieles besser verarbeiten, hat oft einen anderen Blick. Mit den Jahren lernt man, mit der Krankheit zu leben, sie tritt mehr in den Hintergrund. Wenn alles gut geht, kann man mit einer PV alt werden. Sorgen sollte man sich erst machen, wenn der Arzt über Transplantation spricht. Das wäre die letzte Möglichkeit, dann wird es ernst.
Gemeinsam kann man vieles besser verarbeiten.