Das sagt Tanja Marfo (45), die hier berichtet, wie sie in anderthalb Jahren 80 Kilogramm abnahm, nachdem ihr fast 200 kg schwerer Körper kaum noch machte, was der Kopf sich dachte. Die Content Creatorin, Autorin und Coachin gewährt im Interview Einblicke in ihre Welt, in der sie sich mehr als 30 Jahre zu groß, zu dick und zu laut fühlte. Und sie spricht über ihre neue Leichtigkeit, in der Körper und Kopf endlich gemeinsam unterwegs sind.
Foto: Privat
Sie machten Ihre erste Diät mit 12, die letzte mit 42. Welche Gründe hatten Sie?
Ich fühlte mich als Zwölfjährige zu groß, zu dick und zu laut. Wegen meiner Größe und meines Mehrgewichts wurde ich gemobbt. Wegen meiner lauten Art eckte ich an. Meine Vorschullehrerin zog mich mal am Ohr – heute ein Unding – und sagte mir, dass sich Mädchen nicht so benehmen würden wie ich. Ich schämte mich, fühlte mich schuldig, war traurig. Ich machte meine erste Diät in der Hoffnung, abzunehmen, um so dem Mobbing ein Ende zu bereiten. Ich hatte das Gegaffe, Lästern, Auslachen, Beleidigen und Beschimpfen satt. Ich nahm mit der Diät ab. Doch als ich sie beendete, nahm ich wieder zu. Also startete ich die nächste.
Was haben 30 Jahre Diäten mit Ihnen gemacht?
Diät folgte auf Diät – ein Teufelskreis, der mich innerhalb von 30 Jahren auf fast 200 kg brachte. Mein Body-Maß-Index (BMI) betrug 57. Ich entwickelte mit den Diätjahren eine Essstörung, verlor jegliches Sättigungsgefühl und hörte das Essen laut nach mir rufen. Wer diesen „Food-Noise“ nicht kennt, weiß nicht, wie hart es ist, ihn auszublenden und ihm zu widerstehen. Zugleich signalisierte mir mein Körper mit jedem Kilo mehr, dass er mit dem Kopf immer weniger mithalten könne. Meine Ü70-jährige Mutter war schneller und gesünder unterwegs als ich, mein Sohn sowieso. Das Leben lief mir buchstäblich davon – ich weiß nicht, was mit mir geschehen wäre, wenn ich nichts verändert hätte.
Sie haben 80 kg abgenommen – wie haben Sie das gemacht?
Im Jahr 2022 wollte ich für einen Modeljob in die Karibik fliegen. Beim Buchen des Tickets hatte ich zwar auf Beinfreiheit geachtet – ich bin schließlich 1,86 Meter groß – aber nicht auf klappbare Lehnen. Ich passte nicht auf meinen gebuchten Platz und hätte beinahe wieder aus dem Flieger aussteigen müssen. Ich werde nie vergessen, wie die Flugbegleiterin und die anderen Fluggäste mich beäugten. In der Karibik schwitzte ich mit meinem Gewichtspanzer enorm und fühlte mich total unwohl. Noch am Strand beschloss ich, ihn abzuwerfen. Also informierte ich mich gründlich und marschierte forsch zur ersten Ärztin, die ich nach unserem Umzug im neuen Viertel fand. Ich weiß noch, wie ich vor ihrer Praxis auf der Treppe wartete, weil die Stühle im Wartezimmer zu klein für mich waren. Der Ärztin sagte ich ganz genau, was ich wollte. Und die nickte nur.
Ich suchte ein zertifiziertes Adipositas-Zentrum auf und ließ mich dort untersuchen, beraten und aufklären. Sechs Monate später wurde mein Magen verkleinert. In den ersten sechs Wochen nach der OP verlor ich 20 kg. Mittlerweile sind 80 kg weg – und mit jedem Kilo weniger fühle ich mich stärker, fitter und gesünder. Mein Körper hält wieder mit dem Kopf mit.
Was raten Sie mehrgewichtigen und adipösen Menschen, die Hilfe suchen?
- Abnehmen funktioniert nur, wenn Kopf und Körper sich einig sind. Mein Kopf wurde nicht mitoperiert, ich muss also auch nach einer Magenverkleinerung um vier Fünftel bewusst steuern, was ich wann in welcher Menge esse. Zum Glück empfängt mein Kopf inzwischen wieder Sättigungssignale vom Magen. Früher war ich mit einer ganzen Pizza samt Dessert nicht satt zu kriegen, heute schaffe ich gerade mal zwei Stücke.
- Es gibt wirksame Abhilfe bei Mehrgewicht und Adipositas. Letzteres ist eine anerkannte Krankheit, für die die Medizin Leitlinien zur Behandlung hat.
- Wir müssen die Scham loswerden. Dicke sollten sich weder selbst schämen, noch beschämt werden. Die Scham raubt Energie – und hindert so viele, sich Hilfe zu holen.
Sie sind Plus-Size-Model und Influencerin. Sie betreiben den Podcast „Curvy Bestie Club“ und mit Ihrem Instagram-Account „Kurvenrausch“ erreichen Sie mehr als 92.000 Follower. Welche Rolle spielen Ihre persönlichen Erfahrungen in Ihrem Engagement?
Ich nehme die Menschen mit auf meinem Weg: Als Model zeigte ich schon vor der OP, dass Mehrgewicht und Mode ein starkes Team sind. Und wenn ich mit Einblicken in meine Veränderung andere ermutige, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen, dann ist genau das die Wirkung, die ich erzielen möchte.
Lasst uns die Scham ablegen. Dicksein ist kein Grund, sich zu schämen. Diese andauernde Scham raubt Energie – Energie, die man braucht, um das Gewicht auf ein gesundes Maß zu bringen.
Tanja Marfo
@kurvenrausch