Arzt-Patienten-Kommunikation nach dem Modell der partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) führt zu einer gemeinsam verantworteten Entscheidung über eine angemessene medizinische Behandlung einer Erkrankung. Prof. Martin Härter im Interview.
Prof. Martin Härter
Direktor des Instituts und der Poliklinik für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Vorstand im Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung
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Wie sieht eine gelungene partizipative Entscheidungsfindung aus?
Die partizipative Entscheidungsfindung erfolgt in mehreren Schritten, zum Beispiel im Rahmen einer ärztlichen Konsultation oder Visite. Zunächst erfolgt die Mitteilung, dass eine medizinische Entscheidung getroffen werden sollte. Patienten werden eingeladen, sich als gleichberechtigte Partner im Gespräch an der Entscheidung zu beteiligen. In der nächsten Phase werden die verschiedenen evidenzbasierten Behandlungsmöglichkeiten benannt und mit ihren Vor- und Nachteilen erläutert. Immer wieder sollte dabei auch das Verständnis beziehungsweise die bei den Patienten auftauchenden Fragen und Gedanken erfasst werden. Zuletzt wird geklärt, welche Präferenzen Patienten im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten für sich sehen, vor allem bezogen auf ihren persönlichen Lebensstil und -hintergrund. Darüber hinaus wird erfasst, wie der Beteiligungswunsch bei dieser medizinischen Entscheidung aussieht. Zum Schluss erfolgt eine Vereinbarung zur zeitnahen Umsetzung der getroffenen Entscheidung.
Bei welchen Erkrankung ist eine partizipative Entscheidungsfindung zu empfehlen?
Eine PEF ist vor allem bei Erkrankungen angezeigt, bei denen die Entscheidung von den Patientenpräferenzen abhängt oder aus der Behandlung relevante Veränderungen in der Lebensführung resultieren. Dies gilt natürlich insbesondere für schwerwiegende oder chronische Erkrankungen. Jedoch sind auch akute Erkrankungen und ihre Behandlung von Bedeutung, wenn die Entscheidung relevante Veränderungen nach sich zieht.
Patienten wünschen sich eine stärkere Beteiligung im Rahmen ihrer medizinischen Behandlung. Dabei ist es wichtig, den Menschen und seine Angehörigen insgesamt in den Blick zu nehmen.
Welche positiven Aspekte ergeben sich durch eine gemeinsame Entscheidung?
Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass eine gemeinsame Entscheidungsfindung für Patienten und Ärzte positive Auswirkungen hat. Patienten sind zufriedener mit den Arztgesprächen, verfügen über mehr krankheitsbedingtes Wissen, sind zufriedener mit der Entscheidung und haben weniger Entscheidungskonflikte sowie weniger psychosoziale Belastungen. Ärzte erleben die Kommunikation ebenfalls positiv, stellen Behandlungsmöglichkeiten umfassender und transparenter dar. Interessanterweise erhöht sich die Konsultationszeit nur sehr geringfügig.
Wie können sich Patienten gut auf ein Entscheidungsgespräch vorbereiten?
Mit drei Fragen können Patienten eine für sie bedeutsame medizinische Entscheidung besser herbeiführen:
- Was habe ich genau und welche Behandlungsmöglichkeiten stehen für mich zur Verfügung?
- Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Behandlungsmaßnahmen und wie wahrscheinlich ist es, dass die positiven Wirkungen beziehungsweise die Nebenwirkungen eintreten?
- Was geschieht, wenn ich erst einmal „nichts tue“, mich also zunächst gegen eine Behandlung entscheide?
Haben Sie eine Empfehlung für Patienten, die gerne mitentscheiden möchten, sich aber gleichzeitig überfordert fühlen?
Sprechen Sie diese mögliche Überforderung im Gespräch mit Ihrem behandelnden Arzt an. Es ist nicht selten, dass Patienten, vor allem bei komplexen Erkrankungen und Behandlungen, dieses Gefühl haben. Patienten können, wenn sie sich umfassend informiert fühlen, die Entscheidung dann auch stärker ihrem behandelnden Arzt überlassen oder auch zum Beispiel Angehörige und Freunde in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen. Einfühlsame Ärzte werden diese mögliche Überforderung gut verstehen und angemessen darauf reagieren können.
Die partizipative Entscheidungsfindung findet noch zu selten statt. Was müsste passieren, damit PEF zur Normalität im Versorgungsalltag wird?
Ärzte und andere Gesundheitsberufe sind in den letzten Jahren für dieses Thema deutlich stärker sensibilisiert worden. Patienten und die Gesundheitspolitik fordern schon lange die PEF in der Versorgung ein. Die medizinische Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte ist bereits in diesem Sinne verändert worden, auch in den Pflege- und anderen Gesundheitsberufen ist das Konzept inzwischen gut bekannt. Zurzeit werden zahlreiche Überlegungen angestellt, welche positiven Anreize darüber hinaus gesetzt werden können, damit PEF zur Normalität wird. Hier spielen auch derzeit laufende versorgungswissenschaftliche Umsetzungsprojekte eine große Rolle.
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