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    Pädophilie – Verantwortungsvoller Umgang mit Betroffenen

    Foto: Robsonphoto via Shutterstock

    Wie geht man damit um, wenn man von etwas betroffen ist, was in der Gesellschaft stark stigmatisiert ist? Und, viel wichtiger: Wie lebt jemand ein Leben, bei dem ein Nachgeben der sexuellen Lust andere nachhaltig schädigt?

    Mein Name ist Ingo. Ich bin Ende 20 und fühle mich ausschließlich sexuell zu Jungs vor der Pubertät hingezogen. Das heißt aber nicht, dass in meinen Fantasien nur der Sex für mich wichtig ist. In meinen Wünschen geht es wie bei einer Partnerschaft auch um das drum herum, um den Aufbau einer emotionalen  Beziehung zueinander. Oder einfacher gesagt: darum, die Zweisamkeit zu genießen, die mehr ist als bloße Freundschaft.

    Aufgewachsen bin ich in einer Kleinstadt, und seit meiner Kindheit hat mich durch Medien und Stammtischredner eins begleitet: Die gesellschaftlich vorherrschende Meinung, dass Pädophile und Kinderschänder ein und dasselbe sind!

    Dies sorgte bereits in meiner Pubertät für erste Konflikte, ich fühlte mich von Jungs sexuell  erregt, verleugnete dieses Interesse aber vor mir selber und redete mir ein, dass dies nur eine Phase sei, aus der ich herauswachsen würde. Über meine Gefühle und Empfindungen gesprochen habe ich damals weder mit meiner Familie, noch mit meinen Freunden, weil ich Angst davor hatte,  als Kinderschänder abgestempelt zu werden.

    Erst als ich nach jahrelanger Depression immer verzweifelter wurde und kurz davor war, mir das Leben zu nehmen, war ich bereit mir Hilfe zu suchen.

    Mit 14 Jahren konnte ich mir auch noch sehr gut einreden, dass ich noch eine normale Sexualität entwickeln würde. Bereits mit 18 Jahren zweifelte ich jedoch stark daran, da die Jungs in meinen Fantasien nicht weggingen. Bis ich  24 war, log ich mir zurecht: Ich habe einfach noch nicht die richtige Frau gefunden.

    Nach dem Abitur begann ich ein Studium, scheiterte an den gestellten Anforderungen, traute mich aber nicht, es meinen Eltern zu erzählen, da diese die unbewusste Erwartungshaltung in mich gesetzt hatten, dass das Studium für mich ein Klacks wäre. So belog ich meine Eltern drei Jahre lang, dass ich immer noch studieren würde und lebte weiterhin von ihrem Unterhalt.

    Dies verstärkte meine negativen Gefühle mir selbst gegenüber. Insbesondere der Selbsthass, herbeigeführt durch die Minderwertigkeitsgefühle, führte dazu, dass ich dem Alkohol kräftig zusprach und außerdem begann mich selber zu verletzen.

    Von dem Therapieangebot der Charité hatte ich schon als junger Erwachsener gehört, doch durch die Selbstlügen vermied ich es, mit der Einrichtung schon früher in Kontakt zu treten.

    Erst als ich nach jahrelanger Depression immer verzweifelter wurde und kurz davor war, mir das Leben zu nehmen, war ich bereit mir Hilfe zu suchen. Mein damals behandelnder Arzt in der Psychiatrie erkannte durch geschicktes Nachfragen meine sexuelle Neigung und legte mir das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ nahe. Die meisten psychiatrischen Einrichtungen konnten auch damals nicht richtig mit der Pädophilie umgehen.

    Da ich wie gesagt mein Leben neu beginnen und alle meine Problemzonen angehen wollte, besorgte ich mir einen Termin beim Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité und wurde recht zügig als neuer Teilnehmer aufgenommen. Dort stellte sich schnell heraus, dass ich primärhomopädophil bin, da ich mich zu 99% von Jungs sexuell erregt fühle. Ich lernte aber auch, dass es andere Formen der Pädophilie gibt bei denen neben Kindern auch erwachsene Personen als sexuell anziehend empfunden werden.

    Im Sommer 2011 begann meine Therapie, und ich saß zum ersten Mal mit anderen Leuten zusammen, die dieselbe Neigung wie ich teilten und ebenfalls einen Leidensdruck verspürten.  Wir alle waren uns unsicher, ob und wie stark unsere pädophile Neigung ausgeprägt war.  Außerdem war jedem Gruppenmitglied durch Selbsteinsicht oder unter Nachdruck von Partnern, klar geworden, dass eine Auseinandersetzung mit unserer sexuellen Neigung stattzufinden hatte.

    Durch die Therapie habe ich gelernt meine sexuelle Neigung als Teil von mir zu betrachten, die mich zwar mit ausmacht, aber nicht mein Leben bestimmt.

    Meine erste naive Hoffnung, dass ich durch die Therapie umgepolt werden könnte, wurde gleich in der ersten Sitzung zunichte gemacht, als uns die Therapeuten mitteilten, das sich unsere sexuelle Ausrichtung, genauso wie jede andere sexuelle Orientierung, in der Pubertät manifestiert hat und sich nicht einfach ändern lässt.

    Nach diesem ersten Schrecken damals wurde uns aber in der rund ein Jahr währenden wöchentlichen Therapiesitzung vermittelt, dass wir für unsere sexuelle Präferenz nicht verantwortlich sind, da wir uns diese nicht ausgesucht haben. Es ist ja auch kein Verdienst, hetero- oder homosexuell zu sein. Verantwortlich seien wir für unser Verhalten! Uns wurde klar, dass wir für unsere Taten die volle Verantwortung tragen – sei es für das Anschauen von Bildern nackter Kinder, bis hin zu einem sexuellen Übergriff.

    Die eigentliche Gruppentherapie dauerte wie gesagt ein Jahr und fand wöchentlich für jeweils drei Stunden statt. Neben Rollenspielen, in denen wir Empathie für ein potentielles Opfer erlernten – wenn diese nicht sowieso schon vorhanden war – gehörte auch die Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen. Wir lernten, dass Kinder und Erwachsene dieselbe Situation unterschiedlich wahrnehmen und interpretieren. Ich hatte lange gebraucht zu akzeptieren, dass mein Verhalten, auch wenn ich keinem Kind schaden wollte, doch als schädigend wahrgenommen werden könnte.

    Durch die Therapie habe ich gelernt meine sexuelle Neigung als Teil von mir zu betrachten, die mich zwar mit ausmacht, aber nicht mein Leben bestimmt. Dass ich meine Bedürfnisse nach Beziehung, Nähe und Zärtlichkeit nicht mit einem anderen Menschen ausleben kann, führt natürlich dazu, dass ich mich manchmal einsam fühle. Besonders dann, wenn ich in den öffentlichen Parks glückliche Familien sehe und weiß, dass ich das niemals so erleben werde.

    Seit 2013 besuche ich die Nachsorgegruppe, die alle drei Wochen für zwei Stunden stattfindet und aus einem festen Kern an Teilnehmern besteht. Denn auch nach einem Jahr intensiver Therapie sind die Lust und die sexuellen Gefühle nicht weggegangen. Besonders in Stresssituationen besteht die Gefahr, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen beispielsweise der Drang, Abbildungen nackter Kinder im Internet zu konsumieren, wieder sehr stark wird.

    Um auf Stressgefahren rechtzeitig hinweisen zu können, ist unsere Nachsorgegruppe darauf angewiesen, dass sich jeder Teilnehmer einbringt und über seine Probleme spricht. In seltenen Fällen kann auch das zu spät sein, sodass es auch schon zu Rückfällen in der  Nutzung von Bildern gekommen ist. Bedauerlicherweise geschieht dies auch in unserer Nachsorgegruppe, wobei ich betonen möchte, dass die Teilnehmer hart an sich arbeiten und jeder einzelne Konsum von Bildmaterialien sofort in der Gruppe problematisiert wird.

    Auch wenn es für mich als jemanden, der noch nie ein Kind missbraucht, nie kinderpornografische Inhalte konsumiert hat, manchmal sehr anstrengend ist, da zu sitzen und mir anzuhören, dass jemand aus der Gruppe einen Rückfall mit Bildern hatte, so hilft mir doch das Gespräch, um mein Verhalten selbstkritisch und reflektierend zu überprüfen, damit ich festzustellen kann, wo ich stehe.

    Da jeder aus der Gruppe unterschiedliche Sichtweisen einbringt, erweitert die gemeinsame Auseinandersetzung den Horizont von jedem Einzelnen von uns, um so Probleme, die wir durch unsere sexuelle Neigung mit unserem sozialen Umfeld haben, aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und neue Lösungswege für vorher scheinbar unlösbare Konflikte zu erhalten.

    Während meiner Teilnahme an den Gruppen hatte ich mich auch freiwillig chemisch kastrieren lassen. Ich wollte erreichen, jegliche sexuelle Gefühle zu unterdrücken, um so gar nicht erst in den Versuch zu kommen, einen sexuellen Übergriff zu begehen. Denn die Therapie hatte mir gezeigt, dass in Zeiten von Stress und emotionaler Belastung, die Gefahr der Nutzung von Bildmaterialien sehr hoch ist. Eine chemische Kastration bedeutet, dass mithilfe von Medikamenten der Hormonhaushalt im Körper umgestellt wird. Neben Antidepressiva, die als Nebeneffekt eine Lust hemmende Wirkung haben, probierte ich damals auch Androcur aus, ein Antiandrogen, das die Rezeptoren blockiert, an denen sich das Hormon Testosteron anlagert.

    Da jedoch beide Medikamente meine sexuelle Lust nicht dämpfen konnten, entschloss ich mich daraufhin dazu, Salvacyl zu nehmen, ein Medikament, welches verhindert, dass der Körper Testosteron produziert. Ich entschied mich dazu im Bewusstsein, dass durch das fehlende Testosteron die Gefahr von Osteoporose bei mir stark steigen könnte. Doch die Kastration hatte leider nicht den von mir erwünschten Effekt. Im Zuge dessen sank zwar die Erektionsfähigkeit nahezu auf null, doch die Gedanken und die sexuellen Fantasien waren immer noch vorhanden.

    Es ist deutlich einfacher, die Wahrheit zu sagen, als ständig seine Freunde und Familie anzulügen.

    Sie konnten aber nicht mehr durch Masturbation abgebaut werden. Dies führte in meinem Falle dazu, dass ich nun fast rund um die Uhr sexuelle Fantasien mit Jungs hatte, weshalb es mir schwer fiel mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich will hinzufügen, dass die Medikamente bei jedem anders wirken können. Einige der Projektteilnehmer erleben das Verschwinden der sexuellen Impulse durch die Anwendung von Salvacyl als ungemein befreiend.

    Ich lebe nun schon lange ohne Medikamente, und es geht mir damit besser. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich dadurch deutlich verantwortlicher mit mir umgehe und mich bewusst gegen kinderpornografische Materialien entscheide. Um mich mit anderen Leidensgenossen auszutauschen, besuche ich weiterhin die Nachsorgegruppe, damit ich immer wieder überprüfen kann, ob mein eingeschlagener Lebensweg weiterhin ungefährlich für mich und Kinder ist.

    Meinem näheren sozialen Umfeld habe ich von meiner sexuellen Ausrichtung erzählt, wobei es mir leichter fiel, es meinen Freunden zu sagen, als meiner Familie. Auch wenn sich einige abgewandt hatten und nicht damit umgehen konnten, dass ich Jungs als sexuell anziehend erlebe, so steht doch bis heute der Großteil zu mir. Auch sie haben erkannt, dass die Pädophilie zwar ein Teil von mir ist, ich aber nicht auf diesen Teil reduziert bin.

    Meinem sozialen Umfeld hatte ich mich deswegen anvertraut, um den Menschen, die mir wichtig sind, begreiflich zu machen, warum ich manchmal deprimiert durch den Tag gehe. Es ist deutlich einfacher, die Wahrheit zu sagen, als ständig seine Freunde und Familie anzulügen. Außerdem ist es schwer, jedem Tag etwas positives abzutrotzen, wenn ich weiß, welche Entbehrungen ich in Bezug auf Partnerschaft und Sexualität in Kauf nehmen muss, um zu verhindern, dass ich weder mich noch andere durch einen sexuellen Übergriff schädige. Mir hilft da oft die Bestätigung von Freunden, um nicht in ein Loch der Einsamkeit zu fallen.

    Wo ich heute ohne die Therapie stehen würde, kann ich nicht beurteilen, aber was ich definitiv weiß ist, dass ich mir ohne Therapie einen Beruf gesucht hätte, der mit Kindern zu tun hat. Warum ich das weiß? Weil ich angefangen hatte, Lehramt zu studieren, mit dem Ziel die Schüler der Klassenstufen 5-8 zu unterrichten.

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