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    Dankbar, der Spirale zum Abgrund entkommen zu sein

    Foto: Sabina Paries

    Martin Leonhard

    Leitender Angestellter eines Medizintechnikunternehmens

    Seit 40 Jahren ist Migräne Teil meines Lebens. Bereits beim Physikstudium bin ich regelmäßig zwei Nachmittage pro Woche ausgefallen. Damals gab es noch keine Triptane, eine Gruppe spezieller Migränemedikamente, die uns heute im Akutfall gut helfen.

    Migräne ist für mich eine schwere körperliche Behinderung, die als solche anerkannt werden kann. Die Reizwahrnehmungsstörung beeinträchtigt uns auch außerhalb der Attacken, wir nehmen Geräusche, Licht und andere Reize anders wahr, das Gehirn wird dadurch intensiver gefordert. Unterversorgung mit Nährstoffen kann dann Migräne auslösen. Als Patient können wir mit unserem Verhalten viel zu einer erfolgreichen Behandlung beitragen. Was ganz einfach klingt, ist häufig eine riesige Hürde.

    Warum ist diese Erkenntnis so schwierig? Weil wir es nicht merken, dass wir uns Schritt für Schritt einem Abgrund nähern. Ich habe das zweimal massiv erfahren. Wir haben Migräne, Jahr für Jahr. Seit es Triptane gibt, haben wir gute Arzneimittel, die uns, in meinem Fall nach zwei Stunden den Großteil der starken Schmerzen nehmen. Toll, weiter geht’s. Wir sind leistungsorientiert und zuverlässig. Kaum einer merkt uns unser Defizit an. Beim nächsten Anfall hilft das nächste Triptan. Bei mir wurden es dann 15 bis über 20 Triptantage im Monat. Auch das hat eine Weile funktioniert. Und wenn die Triptane nicht geholfen haben, konnte ich mir noch Infusionen mit Schmerzmitteln geben lassen. 

    Dann ging es schlagartig schlechter. Die Wirksamkeit der Triptane lies zu wünschen übrig. Meine Konzentrationsfähigkeit ging massiv in den Keller, selbst die Infusionen haben mir kaum noch geholfen. Hilfe! Ich war am Ende. Konnte ich meinen anspruchsvollen Beruf weiter ausüben, der mir so viel Spaß macht? Ich stand am Abgrund, was konnte mir noch helfen? Ich hatte über die Jahre so gut wie alles ausprobiert, was die medizinischen Leitlinien als wirksam empfehlen, und eine Menge (ärztlich verordneten) Quatsch obendrauf, der nachweislich nicht hilft. 

    Dann fuhr ich 900km quer durch die Republik in die Schmerzklinik nach Kiel. Endlich nachhaltige Hilfe. Was möchte ich meinen Leidensgenossen raten? Spätestens bei mehreren Migränetagen im Monat einen Facharzt aufzusuchen, am besten einen mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“. Zur Vorbereitung mehrere Monate einen Schmerzkalender führen. Bei mehr als 10 Triptantagen im Monat kommt man in einen Medikamentenübergebrauch, der selbst wieder Migräne oder einen Übergebrauchskopfschmerz auslösen kann. Werdet selbst zu Eurem eigenen Migränespezialisten und findet einen Arzt Eures Vertrauens. Wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, wäre ich viel früher in die Schmerzklinik Kiel gegangen.

    Über meine Erfolgsfaktoren habe ich ein kleines Buch geschrieben. Um anderen Mut zu machen. Um Angehörigen ein anderes Gefühl für unser Leiden zu geben. Auch um Aufzurütteln, denn bisher haben wir keine ausreichend gute, flächendeckende, fachärztliche Versorgung.

    Neben Triptanen und anderen prophylaktischen Medikamenten nehme ich seit 9 Monaten die Antikörper-Spritze, die es dank Gentechnik gibt. Das darf aber nur als ein Baustein in einer multimodalen Therapie gesehen werden. Heute habe ich zwar noch immer ca. 15 Schmerztage im Monat mit Schmerzstufe 4 von 10 oder höher, aber nur noch 5 Triptantage im Monat. Dafür bin ich unendlich dankbar.

    Sie möchten mehr über Martin Leonhard erfahren?

    Weitere Informationen finden Sie unter kieler-migraenekoffer.jimdofree.com und auf Instagram @migraenekoffer

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