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    Der späte Kinderwunsch

    Foto: Dasha Petrenko via Shutterstock

    Gibt es den richtigen Zeitpunkt für ein Kind? Wann ist ein später Kinderwunsch zu spät? Wie viele Frauen stellen sich dieser Frage und wie viele davon haben zur perfekten beruflichen Situation sowohl das passende Alter als auch den passenden Partner?

    Prof. Dr. med. Nicole Sänger

    Fachexpertin und DGGG-Vorstandsmitglied

    Der Aufschub der Familienplanung in spätere Lebensjahre kann durch weibliche Emanzipation mit Gleichstellungswunsch, längeren Ausbildungszeiten mit höherem Bildungsstand sowie guter Karrieremöglichkeit bei noch immer bestehender erschwerter Vereinbarkeit von Familie und Beruf begründet werden. Auch die mediale Darstellung später Schwangerschaften, insbesondere internationaler Berühmtheiten aus der Unterhaltungsindustrie, signalisiert Frauen fälschlicherweise eine jederzeit mögliche und unproblematische Umsetzung des Kinderwunschs innerhalb und sogar noch nach Ablauf der reproduktiven Lebensspanne. Dass mit zunehmendem Alter kosten- und zeitintensive, medizinische Leistungen aus dem Bereich der Reproduktionsmedizin in Anspruch genommen werden müssen um eine Schwangerschaft zu erzielen, wird dabei ebenso selten vermittelt wie der durch das höhere Alter der Mutter bedingte statistische Anstieg der Fehlbildungs- und Fehlgeburtsrate oder der geburtshilflichen Risiken Die sachliche Darstellung über die mögliche Endlichkeit des fertilen Zeitfensters trifft die zu beratenden Patientinnen inhaltlich oftmals unvorbereitet, da die Kenntnis über das physiologische Altern des Eierstocks inklusive des altersbedingten Verlust an Eizellen, respektive deren Qualität vielen Frauen nicht bewusst ist.

    Doch nimmt die Kinderlosigkeit statistisch gesehen aufgrund der späten Umsetzung eines Kinderwunschs in fortgeschrittenen Jahren zu? Erfreulicherweise stabilisiert sich die Kinderlosenquote in Deutschland gemäß Angaben des Statistischen Bundesamtes seit einigen Jahren sowohl bei den in Deutschland geborenen, als auch bei den als Kind nach Deutschland eingewanderten Frauen. Auswertungen des Mikrozensus z.B. von 2016 als Stichprobenerhebung mit 744 000 bundesweit Befragten, verzeichneten einen leichten Rückgang der Kinderlosigkeit insbesondere bei akademisch gebildeten Frauen. So sank der Anteil der 40-44 jährigen kinderlosen Akademikerinnen um 3 Prozentpunkte auf 25% im Vergleich der Jahre 2016 zu 2012, was allerdings nicht darüber hinweg täuschen kann, dass die Kinderlosenquote trotz des obigen Trends dennoch merklich höher ist als bei den Nicht- Akademikerinnen. Das durchschnittliche Alter von Frauen zum Zeitpunkt ihrer ersten Entbindung wurde nach Angaben der Deutschen Familienstiftung im Jahre 1970 im Schnitt mit 24,3 Jahren beziffert und beträgt heute bei Erstgeburt gemäß Angaben des statistischen Bundesamtes 29,5 Jahre. Mit einem weiteren Anstieg ist  allerdings in den kommenden Jahren zu rechnen.

    Durch die im Vergleich zu den Jahrgängen der 1960/70er aufgeschobene Familienplanung, sei es durch ungewollte Kinderlosigkeit, fehlendem Partner, ökonomisch unpassender Rahmenbedingungen und dem gesellschaftlichem Rollenwandel der Frau resultieren zunehmend Beratungen zum Thema „Social freezing“, also dem Einfrieren unbefruchteter Eizellen als vorbeugende Maßnahme um die Fruchtbarkeit zu erhalten. Es stellt sich heraus, dass sich im Individualfall nicht allein nur die Karriere als Zeugungshemmnis mit Aufschub einer Schwangerschaft entpuppt. Auch der nachvollziehbare Wunsch nach einer funktionierenden Partnerschaft und einer ausgeglichenen Wechselbeziehung zwischen Elternschaft, Berufs-, Privatleben und Freizeit bilden die Basis für den Wunsch zur Familiengründung.

    Stellen reproduktionsmedizinische Maßnahmen im Allgemeinen, wie z.B. die künstliche Befruchtung, zunehmend akzeptable Behandlungswege in der Therapie eines unerfüllten oder späten Kinderwunsches dar, so hat innerhalb der letzten Jahre nichts so sehr zu heftigen, öffentlichen Diskussionen geführt wie der Begriff des „Social freezings“. Ausgelöst wurden diese durch das Angebot zweier amerikanischer Großfirmen, die Kosten für das Einfrieren unbefruchteter Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen zu finanzieren. Der Zweck dieses Angebots bestand dabei unter anderem in der zeitlichen Verlagerung einer Schwangerschaft in eine bewusst spätere, und damit auch durchaus für die Unternehmen wirtschaftlichere Lebensabschnittsphase, um die berufliche Karriere der Angestellten nicht zu behindern. Die überwiegende öffentliche Missbilligung über diesen Eingriff eines Arbeitgebers in die Familienplanung von Mitarbeiterinnen bezog sich hauptsächlich auf die Verletzung der intimen Privatsphäre als auch auf die resultierende Akzeptanz einer späten Schwanger- und Mutterschaft. Es folgten zahlreiche soziologische, philosophische, theologische oder auch juristische Stellungnahmen zu dieser nicht rein medizinisch indizierten Behandlungsoption und sogar die vermeintliche geschlechtliche „Gleichstellung“ zwischen Mann und Frau, aufgrund einer nun vom Alter unabhängigen Fortpflanzungsmöglichkeit, war Gegenstand v.a. frauenrechtlicher Diskussionen. Überhaupt müssen sich Frauen egal welchen Alters nicht selten rechtfertigen, warum sie wann und in welcher Lebensphase über die Familienplanung nachdenken oder diese umsetzen möchten.

    Dabei kann das Einfrieren weiblicher Eizellen neben beruflichen oder partnerschaftlichen Gründen ebenso vorbeugend bei einer später fruchtbarkeitseinschränkenden Erkrankungen wie z.B. einer vorzeitigen Erschöpfung der Eizellreserve oder einer Endometriose (gutartige Erkrankung des weiblichen Genitales) sinnvoll angewandt werden, um einen Kinderwunsch in einer späteren Lebensphase zu verwirklichen, einer Lebensphase, in der die Betroffenen ohne diese vorbeugende Maßnahme selbst u.U. keine Möglichkeit mehr dazu haben.

    Vor diesem Hintergrund ist es interessant die Akzeptanz von Frauen zum Thema vorbeugende Fruchtbarkeitsreserve zu hinterfragen. Dies erfolgte u.a. durch eine Onlinebefragung der IKK wobei jeweils 500 Frauen und Männer zwischen 20 und 50 Jahren zu den Themen Kinderwunsch, Kindergesundheit und Kinderbetreuung befragt wurden. Demnach käme das Einfrieren von Eizellen für 45% der befragten Frauen und für 41% der Männer in Betracht. Allerdings lehnte auch rund ein Drittel diese Möglichkeit der Familienplanung persönlich oder grundsätzlich ab. Die Akzeptanz für diese Behandlungsoption war dabei umso höher, je jünger die befragten Personen waren. Interessanter Weise lehnten 36% der Frauen und 31% der Männer im Alter von 41-50 Jahren das Verfahren mit der Begründung ab, dass Betroffene sich „eben rechtzeitig entscheiden müssen ob sie Karriere oder Familie haben wollen“. Die mögliche Kombination beider Optionen stand nicht zur Debatte.

    Unabhängig der Option Eizellen konservieren zu lassen ist auch bei Frauen, die keine Möglichkeit hatten in jüngeren Jahren mithilfe dieser Methode die Fruchtbarkeit für spätere Jahre sicher zu stellen oftmals nur der Weg zur Wunschschwangerschaft über die Durchführung einer künstlichen Befruchtung (IVF- Therapie = In-vitro-Fertilisation) möglich. Die hierzu erforderlichen Behandlungsschritte umfassen dabei ebenso wie für das Social Freezing eine hormonelle Stimulation der Patientin über 10 bis 14 Tage. Die Eizellentnahme erfolgt ambulant per Follikelpunktion in einer Begleitanästhesie und die so gewonnenen Zellen werden mit dem Samen des Partners befruchtet und nach wenigen Tagen in die Gebärmutter rück überführt (Embryotransfer) um eine Schwangerschaft erzielen zu lassen. Da optimaler Weise nur ein Embryo zurück transferiert werden sollte, können überzählige Zellen analog zur Methodik des Social Freezings eingefroren werden. Leider erhalten derzeit nur verheiratete Paare eine gesetzlich geregelte Kostenübernahme durch die Versicherung, sofern die Patientin jünger als 40 Jahre und der Partner jünger als 50 Jahre ist. Die Höhe der finanziellen Unterstützung kann dabei von Krankenkasse zu Krankenkasse variieren, ferner sehen sich Paare mit gemischtem Versicherungsstatus (Privat/Gesetzlich) oder Angehörige z.B. der Bundeswehr mit Problemen der Leistungserstattung konfrontiert. Allerdings gibt es bereits in einigen Bundesländern wie z.B. Nordrhein Westfahlen oder Hessen Finanzierungsprogramme für Paare nach Ablehnungsbescheid der Krankenkasse und sogar bei unverheirateten Paaren, was im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel des Familienbildes durchaus als modern zu werten ist. Eine Kostenübernahme für Social Freezing existiert nicht.

    Doch das Alter der Patientinnen bei Wunsch nach Erstschwangerschaft zeigt auch der Reproduktionsmedizin Grenzen auf und der Erfolg der Behandlung reduziert sich mit dem zunehmenden Alter der Ratsuchenden. Optimaler Weise wäre der Erhalt von 10-15 Eizellen pro IVF- Behandlung anzustreben, was bei einer 40 jährigen Patientin zu mehreren Stimulationszyklen führen würde. Da wie eingangs erwähnt die Krankenkassen bei Patientinnen über 40 Jahren keine Kostenübernahme zur Behandlung des Kinderwunschs anbieten, bedeutet dies eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung, so dass eine im Vorfeld obligate Beratung und Basisdiagnostik unter der Berücksichtigung medizinischer, ethischer und auch finanzieller Aspekte erfolgen sollte. Pro konventioneller Stimulation mit darauffolgender Eizellentnahme und Embryotransfer muss die Patientin (je nach Kinderwunschzentrum und Prozeduren) mit einem Rechnungsbetrag von 5000 bis 10 000 Euro rechnen. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung im „natürlichen“ Zyklus der Frau, d.h. ohne aufwändige hormonelle Stimulation im Vorfeld. In wie weit diese Behandlung im Individualfall erfolgversprechend ist, sollte im Vorfeld mit dem behandelnden Reproduktionsmediziner besprochen werden.

    Die Hauptfrage einer jeden Beratung zum Thema Kinderwunsch und Kinderwunschtherapie, welche jede Patientin bewegt, ist die nach der Erfolgsaussicht. Diese hängt vor allem von der individuellen Anzahl zu gewinnender Eizellen sowie dem Alter der Frau zum Zeitpunkt der Follikelpunktion als auch weiteren Sterilitätsfaktoren (z.B. des Partners) ab. Möchte man die Erfolgschancen auf eine Lebendgeburt nach erfolgreicher IVF Therapie betrachten, so kann dies altersabhängig aus den Daten des Deutschen IVF- Register abgeleitet und online eingesehen werden (www.deutsches-ivf-register.de DIR). Als Beispiel sei aufgeführt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt nach erfolgreicher IVF- Behandlung bei einer 34 jährigen Patientin 30,6 % und bei einer 44 jährigen Patientin 3,8% beträgt (DIR 2017). Somit ist die Wahrscheinlichkeit auf ein Kind auch im höheren biologischen Alter nicht ausgeschlossen, steigt allerdings mit jedem Jahr, welches sich die Patientin früher zur Beratung und Therapie an einem Kinderwunschzentrum vorstellt.

    Der Aspekt Sicherheit und der zu erwartenden Risiken einer Kinderwunschbehandlung per IVF sei an dieser Stelle kurz erwähnt. Laut der gemeldeten Daten des DIR für das Jahr 2017 lag das Gesamtkomplikationsrisiko pro Eizellentnahme bei 1,1%. Darin dokumentierten sich zu 71,2% vaginale Blutungen, 9,8% Blutungen im Bauchraum, 0,5% Darmverletzungen und 0,6% für eine folgende stationäre Behandlung. Die geburtshilflichen Risiken einer späten Schwangerschaft bestehen in einem erhöhten Auftreten von Gestosen (Formen der sog. „Schwangerschaftsvergiftung“), einer vorzeitigen Lösung des Mutterkuchens (Plazentalösung), einer Geburtseinleitung mit möglich folgender operativer Entbindung sowie bei Mehrlingsschwangerschaften dem Risiko einer daraus resultierenden Frühgeburtlichkeit.

    Der späte Kinderwunsch ist aus dem Alltag der reproduktionsmedizinischen Praxen sowohl in der Beratung als auch in der therapeutischen Umsetzung nicht mehr weg zu denken. Es gilt im Aufklärungsgespräch die Balance zu finden zwischen der optimistisch- forcierten Unterstützung zur Spontankonzeption innerhalb des fertilen Zeitfensters, sowie der Erläuterung von Möglichkeiten, Limitationen, Kosten und Risiken reproduktionsmedizinischer Maßnahmen. Zwar ist die Rate derer, die sich einer IVF- Behandlung unterziehen müssen deutlich erhöht, dennoch nicht immer in jedem Fall notwendig. Ein Beratungsgespräch kann somit sinnvoll sein, um entscheiden zu können welchen Weg die Frau/das Paar einschlagen möchte und ferner, welche weiteren Optionen bestehen eine Familie zu gründen oder zu erweitern.

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    Weitere Informationen zur Arbeit der Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. finden Sie unter www.dggg.de .

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