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    Die Interpretation des Genoms ist der Schlüssel

    Foto: shutterstock_1687430935

    Die Zukunft der Medizin wird genomisch geprägt sein.

    Prof. Dr. Markus Nöthen

    Facharzt für Humangenetik, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH)

    Foto: UK Bonn

    Als Anfang der 2000er Jahre die erstmalige Sequenzierung des menschlichen Genoms berichtet wurde, war es eine ferne Vision, bei Patienten zur diagnostischen Abklärung vollständige Genome zu sequenzieren. Das 1990 mit dem Ziel der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms gestartete internationale Humangenomprojekt hatte weltweit tausende Wissenschaftler beschäftigt und Kosten in Milliardenhöhe verursacht. Seitdem hat die Einführung neuer Sequenziertechnologien die Kosten der Sequenzierung stetig fallen lassen.

    Neue diagnostische Verfahren – Wie genomische Daten interpretiert werden

    Mit den stark gesunkenen Kosten ist eine wichtige Voraussetzung für die Einführung der Sequenzierung vollständiger Genome als neues diagnostisches Verfahren gegeben, dennoch ist eine sog. Genomdiagnostik alles andere als einfach. Woran liegt das? Bei der Sequenzierung eines individuellen Genoms (beim Menschen sind das zwei Kopien, einer mütterlichen und einer väterlichen Kopie) weicht die Sequenz an tausenden Stellen vom Referenzgenom ab. Unter diesen Varianten die eine oder zwei (bei rezessiv vererbten Krankheiten) ursächliche/n Variante/n sicher zu identifizieren, d.h. eine korrekte Interpretation der umfangreichen Sequenzdaten vorzunehmen, ist vom Aufwand mittlerweile höher als der Aufwand der Sequenzierung.

    Entscheidend für die Diagnose ist die Interpretation des Genoms vor dem Hintergrund der individuellen Krankheitssymptome.

    Für die Interpretation der großen Zahl von genetischen Varianten wird auf ganz unterschiedliche, von nationalen und internationalen Experten kuratierte Datenbanken zurückgegriffen. Diese enthalten u.a. Daten zur Häufigkeit von Varianten bezogen auf die Herkunftspopulation des Patienten, biologische Daten zur Einschätzung der Funktionseinschränkung des betroffenen Gens sowie klinische Daten von Patienten, die die gleichen oder ähnliche genetische Varianten tragen. Ist die Krankheitsrelevanz (sog. Pathogenität) der gefundenen Variante nach den Datenbankabgleichen und bioinformatischen Analysen weiterhin unklar, können in manchen Fällen zusätzliche experimentelle Untersuchungen weiterhelfen, z.B. Untersuchungen auf Ebene der Genprodukte (Transkript- oder Proteinuntersuchungen).

    Im letzten und wichtigsten Schritt müssen für den diagnostischen Befund die in Frage kommenden genetischen Varianten vor dem Hintergrund der spezifischen Symptome des Patienten individuell interpretiert werden, eine Aufgabe, die mit der Humangenetik im Zentrum fachübergreifende ärztliche Kompetenz erfordert. Im Modellvorhaben wird dies an den beteiligten Universitätskliniken durch interdisziplinäre Fallkonferenzen garantiert.

    Die Bedeutung der Genomdiagnostik für Betroffene und ihre Angehörigen

    Für die Patienten und ihre Familien bedeutet die Feststellung einer genetischen Ursache häufig das Ende einer mehrjährigen diagnostischen Odyssee, in jedem Fall bedeutet sie eine Zuordnung zu einem spezifischen Krankheitsbild, mit den dazugehörigen Informationen über den Verlauf der Erkrankung sowie über die im weiteren Krankheitsverlauf empfohlenen Untersuchungen und mögliche Optionen der Behandlung. Bei familiären Tumorerkrankungen bedeutet es ganz konkret, dass Angehörige sich auf eine Anlageträgerschaft testen lassen können, so dass sich durch regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen ein ggf. entstandener Tumor im Frühstadium erkennen und behandeln lässt. Alle diese für Patienten und Angehörige wichtigen, aber häufig auch komplexen Informationen müssen im persönlichen Gespräch erläutert werden.

    Die Zukunft der Genomdiagnostik – „Lernende Versorgung“, von der auch die Forschung profitiert

    Wo geht die Genomdiagnostik über bestehende diagnostische Verfahren hinaus? Bei der Sequenzierung des ge-samten Genoms werden alle Bereiche des Genoms in den Blick genommen, unabhängig von der Kenntnis über die spezifische Funktion des sequenzierten Bereichs. Hier gibt es einen ständigen Wissenszuwachs in Form von wachsenden Datenbanken, aber auch in der Weiterentwicklung von bioinformatischen Analysemethoden, so dass die Genomdaten ungeklärter Fälle auch in Zukunft nochmals angeschaut werden sollen.

    In dieser Hinsicht aber auch in der Gestaltung der standortübergreifenden Zusammenarbeit folgt das Modellvorhaben dem Prinzip der „lernenden Versorgung“. Die gesammelten Erfahrungen der Genomdiagnostik, die sich im Modellvorhaben zunächst auf die beiden Krankheitsgebiete der seltenen Erkrankungen und der Tumorerkrankungen beschränkt, wird Grundlage für die zukünftige Ausweitung auf andere Krankheitsgebiete sein. Die Medizin der Zukunft wird stark genomisch geprägt sein, weswegen auch zunehmend von der Genomischen Medizin gesprochen wird.

    Die im Modellvorhaben erhobenen umfangreichen Daten sind auch für die Forschung interessant. So können ursächliche Mutationen zwar das Auftreten von Krankheiten erklären, die individuelle Ausprägung des Krankheitsbildes wird aber in der Regel durch viele zusätzliche Faktoren, darunter auch weitere genetische Faktoren, bestimmt. Auf dem Weg zu einem umfassenden Verständnis von Krankheit ist die Genomsequenzierung ein enorm wichtiger Schritt, die Interpretation bleibt dabei aber eine Herausforderung der kommenden Jahre.

    Weitere Informationen finden Sie unter:

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