Stefan Fröhling ist Professor für Präzisionsonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. Er ist Geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und leitet die Abteilung für Translationale Medizinische Onkologie am DKFZ. Er beschäftigt sich intensiv mit den molekularen Eigenschaften von Krebserkrankungen mit dem Ziel, neuartige individualisierte Therapieansätze zu entwickeln und diese in klinischen Studien zu testen. Er beantwortet uns drei Fragen zu den Möglichkeiten der Genommedizin in der Onkologie.
Welche Rolle spielt die genetische Diagnostik bei erworbenen Krebserkrankungen?
Molekulargenetische Untersuchungen verbessern die Diagnostik und personalisierte Therapie von Krebs und können Aufschluss über die Prognose einer individuellen Erkrankung geben. Zudem decken sie bei einem Teil der Patienten mit vermeintlich erworbenen Krebserkrankungen eine erbliche Veranlagung auf. Aufgrund der rasch steigenden Zahl molekularer Biomarker, die für die Steuerung der Versorgung von Krebspatienten verwendet werden, nimmt die Bandbreite der diagnostischen Methoden stetig zu. Die Sequenzierung ganzer Tumorgenome erfasst alle aktuell und zukünftig relevanten DNA-basierten Biomarker einschließlich komplexer Profile, die teilweise nur mit diesem Verfahren detektierbar sind, und verbreitert so die Informationsbasis, auf der klinische Entscheidungen getroffen werden können.
Die Initiative genomDE bündelt alle Kompetenzen der Genommedizin in Deutschland.
Wie sieht der Zusammenhang zwischen der molekulargenetischen Sequenzierung eines Tumors und der individuellen Therapie aus?
Die Bedeutung molekularer Informationen für die Behandlung von Krebserkrankungen lässt sich daran ablesen, dass es mehr als 70 Zulassungen von mehr als 50 Medikamenten gibt, die auf bestimmte genetische Veränderungen abzielen. Zudem gibt es immer mehr Entitäten-übergreifende Zulassungen von Wirkstoffen, deren Einsatz ausschließlich auf genetischen Tumormerkmalen beruht. Derzeit besteht bei mindestens 30% der Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen eine Indikation zu einer molekular informierten Therapie. Diese Zahlen sind nur eine Momentaufnahme; der rasche Wissenszuwachs auf dem Gebiet der molekular informierten Präzisionsonkologie bedeutet, dass dieser Anteil weiter steigen wird.
Warum ist ein Projekt wie genomDE so wichtig, wenn es um die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit erworbenen Krebserkrankungen geht?
Molekular informierte Therapien können die Prognose von Krebspatienten verbessern. Hieraus resultieren Bestrebungen, möglichst breite Methoden der molekularen Diagnostik einzusetzen, bis hin zur Genomsequenzierung, deren klinischer Wert sich zunehmend abzeichnet. Die flächendeckende Verankerung dieser Methode, z.B. im Rahmen des Modellvorhabens zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung bei seltenen und onkologischen Erkrankungen (§ 64e Sozialgesetzbuch V), ist mit neuen Anforderungen verbunden. Diese betreffen die Infastruktur, spezielles Fachwissen und die Zusammenarbeit von Experten über Disziplinen und Standorte hinweg. Die Initiative genomDE bündelt alle Kompetenzen der Genommedizin in Deutschland. Sie bietet einen Rahmen für die Entwicklung von Standards für klinische Genomanalysen und die Auswertung der Ergebnisse sowie einer bundesweiten Plattform für genetische Daten, die Gesundheitsversorgung und Forschung miteinander verbindet. So werden die Voraussetzungen für die Einbettung der Genommedizin in die Onkologie geschaffen.