Fast alle neurologischen Autoimmunerkrankungen sind chronisch und erfordern eine langjährige, meist lebenslange Therapie und die regelmäßige Vorstellung bei einem Facharzt. Die Therapie gestaltet sich je nach Erkrankung unterschiedlich. Es werden dabei Substanzen eingesetzt, die das Immunsystem so verändern, dass der Schaden am betroffenen Gewebe abgeschwächt wird.
Priv.-Doz. Dr. Johannes Dorst
Neurologische Abteilung Universitätsklinik Ulm / RKU
Problematisch ist, dass viele Medikamente im Langzeitverlauf teilweise schwere Nebenwirkungen verursachen können. Eine alternative, relativ neue Therapie kennt Dr. med. Johann Dorst vom Uniklinikum Ulm aus seinem Klinikalltag.
Ich erinnere mich noch gut an unsere allererste Patientin, die wir im Jahr 2013 mit Immunadsorption behandelt haben. Es handelte sich dabei um ein 16-jähriges Mädchen mit Multipler Sklerose (MS) und einem schweren Schub in Form einer Sehnerventzündung.
Sie war auf dem rechten Auge fast komplett erblindet, und mehrere Therapiezyklen mit hochdosiertem Cortison hatten nur zu einer minimalen Besserung geführt. Nur wenige Tage nach der Immunadsorption aber war die Sehkraft fast vollständig wiederhergestellt, es hatte sich also ein überwältigend positiver Therapieerfolg gezeigt.
Ein solch positives Ergebnis ist natürlich nicht die Regel und kann nicht garantiert werden. Allerdings war dieser erste Fall für unser Ärzteteam sehr motivierend.
Ist die Apherese oder Immunadsorption eine Therapie für Jedermann?
Autoantikörper spielen bei fast allen bekannten neurologischen Autoimmunerkrankungen eine wichtige Rolle, somit können Aphereseverfahren bei vielen Erkrankungen, wie beispielsweise der MS, der Myasthenia gravis, dem Guillain-Barré-Syndrom oder autoimmun-entzündlichen Gehirnerkrankungen zur Anwendung kommen.
Muss die Behandlung verschrieben werden?
Die Indikation für eine Behandlung stellt im Falle neurologischer Autoimmunerkrankungen ein neurologischer Facharzt. Er überweist den Patienten dann in eine Klinik, wo die Aphereseverfahren durchgeführt werden können. Dies kann – wie in unserem Fall – die Neurologische Abteilung sein, häufiger sind diese Verfahren jedoch wegen der Verwandtschaft zur Dialyse in der Nephrologie angesiedelt.
Wie empfindet ein Patient das Verfahren, wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Eine Plasmapherese dauert in der Regel ein bis zwei Stunden, eine Immunadsorption vier bis fünf Stunden. Während der Therapie liegt der Patient im Bett. Das Verfahren ist nicht schmerzhaft, nach einer Behandlung ist der Patient eventuell etwas abgeschlagen, sonst aber in keiner Weise eingeschränkt.
Die positive Wirkung der Apherese entfaltet sich häufig nicht sofort, sondern erst nach einigen Tagen. Standardmäßig führen wir bei beiden Verfahren fünf Behandlungen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen durch, eine einzelne Behandlung reicht nicht aus, um die Antikörperkonzentrationen im Blut ausreichend zu senken.
Gibt es bestimmte Gründe warum man bisher eher selten von der Therapie gehört hat?
Es gibt zwei wesentliche Gründe: Erstens wird sie erst seit einigen Jahren eingesetzt, wir waren eine der ersten Neurologischen Abteilungen, die im Jahr 2013 diese Therapie in die klinische Praxis eingeführt haben. Zweitens gibt es für die meistens neurologischen Krankheitsbilder noch keine hochwertigen klinischen Studien, die den Effekt der Immunadsorption zweifelsfrei belegen.
Dies liegt aus meiner Sicht nicht an der mangelnden Wirksamkeit des Verfahrens, sondern daran, dass die meisten neurologischen Autoimmunerkrankungen selten sind und es daher schwierig ist, genug Patienten für eine ausreichend große klinische Studie zu rekrutieren. Zum anderen, handelt es sich um ein geringfügig invasives Verfahren, weshalb in der Regel zuerst nicht-invasiven Verfahren der Vorzug gegeben wird.
Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der Immunadsorption?
Im Laufe der Jahre haben wir durch die vielen positiven Ergebnisse immer mehr Vertrauen zu dieser Therapieform entwickelt und behandeln momentan pro Woche meistens zwei bis drei Patienten mit verschiedenen neurologischen Autoimmunerkrankungen mit dieser Therapie. Nach unserer Erfahrung sprechen beispielsweise etwa drei Viertel der MS-Patienten, die keine komplette Rückbildung ihres Schubs durch Cortison erfahren, auf die Apherese an, das heißt es kommt zu einer deutlichen Besserung der noch verbliebenen Beschwerden. Gleichzeitig haben wir bisher bei MS-Patienten noch keine relevanten Nebenwirkungen durch die Therapie festgestellt.
Wie lang dauert eine Behandlung? Reicht eine Behandlung aus? Was muss beachtet werde, um das Ganze erfolgreich zu machen?
Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, einen MS-Schub so aggressiv zu behandeln, dass sich die Symptome nach Möglichkeit komplett zurückbilden. Ansonsten besteht die Gefahr, mit weiteren Schüben immer mehr bleibende Beschwerden anzusammeln. Deshalb ist es wichtig, dass Patienten und Ärzte die Therapieoption der Apherese kennen.
Vor der Behandlung muss ein Infekt ausgeschlossen werden, und einige Medikamente (bestimmte Blutdruckmedikamente und blutverdünnende Medikamente) müssen gegebenenfalls pausiert werden. Nach Abschluss der letzten Behandlung kann der Patient meistens sofort entlassen werden und muss keine besonderen Verhaltensmaßregeln beachten, obwohl wir den Patienten dazu raten, engen Kontakt zu Personen mit Infekten zu vermeiden.¢