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    Die Von-Willebrand-Krankheit: verbreitet, aber weitgehend unbekannt

    Foto: Tenzen via Shutterstock.com

    Die Von-Willebrand-Krankheit ist eine verbreitete, aber recht unbekannte Blutgerinnungsstörung, die meist eher zufällig entdeckt wird. Im Gegensatz zur Hämophilie sind auch Frauen von ihr betroffen. Wir sprachen mit Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny, Leiter der Gerinnungsambulanz mit Hämophiliezentrum der Charité, welche Symptome die Erkrankung hat und wie sie zu behandeln sind. 

    Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny

    Leiter der Gerinnungsambulanz mit Hämophiliezentrum im ambulanten Gesundheitszentrum der Charité GmbH

    Welches Krankheitsbild verbirgt sich hinter der Von-Willebrandschen-Krankheit? 

    Ein Mangel des Von-Willebrand-Faktors. Das ist ein Protein, das besonders für die erste Phase der Blutgerinnung benötigt wird. Es werden 3 Typen unterschieden. Bei Typ 1 gibt es im Wesentlichen eine quantitative Verminderung des Von-Willebrand-Faktors, bei Typ 2 kommt zusätzlich ein qualitativer Defekt des Faktors hinzu. Typ 3 ist die schwerste Form, hier fehlt der Faktor fast vollständig. Dies führt häufig zu schweren Beeinträchtigungen.

    Wie viele Betroffene gibt es?

    Es ist die weltweit häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung mit Blutungsneigung. Allerdings ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, weil die Krankheit oft spät oder gar nicht entdeckt wird. Die offizielle Prävalenz wird mit 0,1 Prozent angegeben. Es ist bei uns allerdings nicht Standard, auf diese Erkrankung hin zu testen. 2004 haben wir selbst in der Charité vor operativen Eingriffen ein präoperatives, prospektives Screening durchgeführt und kamen auf eine Prävalenz von 0,58 Prozent. 

    Wo liegen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Hämophilie?

    Es gibt Patienten mit Typ 3 oder Typ 2 N, bei denen der Faktor 8 niedrig und weniger gebunden ist – eine Gemeinsamkeit zur Hämophilie. Auch Gelenks- und Muskelblutungen können bei schweren Fällen eintreten, wie bei der Hämophilie A und B auch.

    Typ 1 und 2 unterscheiden sich deutlicher, sie fallen in der Klinik auch unterschiedlich auf. Diese Patienten und Patientinnen leiden eher unter Schleimhautblutungen und oberflächlichen Blutungen. Auch eine deutlich verlängerte Regelblutung wird beobachtet. Diese kennt man bei der Hämophilie nicht, weil Frauen hiervon in der Regel nicht betroffen sind. Typ 1 der Von-Willebrand-Krankheit zeigt, im Gegensatz zur Hämophilie, oft auch einen wellenförmigen Verlauf. Sie kann gänzlich unauffällig sein und sich dann nach Jahren, z. B. bei einer Operation, wieder zeigen. 

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    Gibt es spezifische Anzeichen, Symptome oder Symptomkombinationen, die auf die Erkrankung hinweisen?

    Häufig wird die Diagnose erst gestellt, wenn Patienten bei operativen Eingriffen durch nicht-chirurgisch bedingte Blutungen auffallen. Die Von-Willebrandsche-Krankheit macht sich bemerkbar, wenn Betroffene z. B. bei kleineren medizinischen Eingriffen, die normalerweise unkompliziert sind, dramatische Blutungsepisoden haben. Bei einer Regelblutung, die drei oder vier Wochen andauert, sollte man ebenfalls an die Von-Willebrandsche-Krankheit denken. Und rezidivierendes Nasenbluten, insbesondere wenn es im Kindes- und Jugendalter aufgetreten ist, vielleicht im Erwachsenenalter sogar verschwindet, kann ebenfalls ein Hinweis sein.

    Gibt es auch Patient*innen, die die Diagnose erst sehr spät bekommen oder gar nicht? 

    Ja, die gibt es. Wir sehen Patient*innen, die erstmals mit 60 oder 70 Jahren die Von-Willebrand-Erkrankung diagnostiziert bekommen. Oft gibt erst eine Operation Hinweise auf das Vorliegen der Erkrankung, viele Betroffene haben ihre erste OP im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt oder noch später. 

    Wie sind die Reaktionen der Betroffenen und deren Familien nach der Diagnose, und inwiefern beeinflusst sie den Alltag aller Beteiligten? 

    In der Symptomatik gibt es eine individuelle Variabilität. Patient*innen mit schwereren Formen sollten Aktivitäten oder Berufe mit erhöhtem Unfallrisiko nach Möglichkeit meiden. Aber der Großteil der Patienten erlebt einen relativ normalen Alltag.

    Ist die Erkrankung vererbbar?  

    Ja, in der Regel wird sie sogar dominant vererbt. Es können sowohl Männer als auch Frauen betroffen sein. Auch familiäre Häufungen können auftreten. Man sollte auch Eltern, Geschwister und Kinder von Betroffenen auf die Krankheit untersuchen. Bei Kindern erfolgt dies meist erst ab dem vorschulfähigen Alter, da die Physiologie der Blutgerinnung beim Kind anders ist.

    Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?  

    Wir können, insbesondere bei Patienten mit Typ 1, bei einem milderen Verlauf körpereigene Reserven freisetzen. Hier kommt der Wirkstoff Desmopressin (DDAVP) zum Einsatz, der intravenös, subkutan oder intranasal verabreicht wird. Dieser ist allerdings für Erwachsene und Kinder erst ab vier Jahren anwendbar und ungefähr vier bis fünf Prozent der Patienten mit Typ 1 sprechen nicht ausreichend darauf an. Dann muss man evtl. bei Operationen Plasmapräparate geben. 

    Anmerkung der Redaktion: Bei Erwachsenen ab 18 Jahren kann bei Operationen auch ein rekombinanter Von-Willebrand-Faktor zum Einsatz kommen, der das fehlende Protein ersetzt und somit die Blutgerinnung unterstützt, um eine Blutungsstörung vorübergehend zu kontrollieren. Im Körper wirkt der rekombinanter Von-Willebrand-Faktor auf die gleiche Weise wie der natürliche Von-Willebrand-Faktor.

    Bitte geben Sie uns einen Einblick in die Zukunft.

    Wir möchten das Bewusstsein von Patient*innen und Ärzt*innen schärfen, dass es die Erkrankung gibt, insbesondere im Vorfeld von Operationen oder wenn ungewöhnliche Blutungen auftreten. Hier braucht es Aufklärungsarbeit und Leitlinien. Aktuell sind wir dabei, solche in den unterschiedlichen Fachgesellschaften zu erarbeiten.

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