Die Schilddrüse gehört zu den endokrinen Drüsen unseres Körpers. Hier werden die Hormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) gebildet, die für verschiedenste Stoffwechselvorgänge benötigt werden. Ist die Schilddrüse in ihrer Funktion beeinträchtigt, kann sich das auf den gesamten Körper Betroffener auswirken. Wie sich speziell eine Schilddrüsenunterfunktion (sog. Hypothyreose) bemerkbar macht und mit welchen Beeinträchtigungen die Patient:innen konfrontiert sind, erklärt uns Dr. Stefan Karger, der als niedergelassener Arzt Betroffene betreut.
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Stefan Karger
Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie
und Diabetologie, Osteologe DVO, Praxis für
Endokrinologie Leipzig
Herr Dr. Karger, Sie sind niedergelassener Arzt und haben sich unter anderem auf Schilddrüsenerkrankungen spezialisiert. Wie viele Menschen sind in Deutschland von einer Schilddrüsenfunktionsstörung betroffen?
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einer Überfunktion und einer Unterfunktion des Organs. Von einer ausgeprägten (manifesten) Unterfunktion sind etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland betroffen. Häufiger finden wir eine latente Schilddrüsenunterfunktion, eine leichte Vorstufe. Hier liegt die geschätzte Zahl zwischen drei und zehn Prozent. Laut Verschreibungsdaten nehmen mindestens 4,1 Millionen Deutsche Schilddrüsenhormone als Ersatz bei Unterfunktion ein. Bei der Überfunktion unterscheiden wir ebenfalls zwischen einer latenten und einer manifesten Form. Von der manifesten Hyperthyreose sind ungefähr 1,5 bis zwei Prozent betroffen. Häufiger ist die latente Hyperthyreose, welche sich hierzulande bei circa fünf Prozent der Menschen, vor allem im höheren Lebensalter, diagnostizieren lässt.
Wie machen sich Funktionsstörungen der Schilddrüse bemerkbar?
Entweder durch einen auffälligen Laborbefund oder primär durch charakteristische Symptome. Laboranalytisch ist der sogenannte TSH-Wert von entscheidender Bedeutung. Anhand dieses zentralen Steuermarkers der Schilddrüse können wir beurteilen, ob die Schilddrüse normal funktioniert oder nicht. Ob bei einer Abweichung des TSH-Wertes vom Referenzbereich tatsächlich eine krankhafte Störung der Schilddrüse vorliegt, muss immer individuell und fachkundig abgewogen werden. Bei älteren Patienten z. B. kann dieser Wert im Vergleich zu Jüngeren leicht erhöht sein – formal einer latenten Hypothyreose entsprechend, was jedoch oftmals mit keinerlei Krankheitsbedeutung assoziiert ist und wobei Zurückhaltung geboten ist, diesen Laborbefund als Krankheit zu behandeln. Die Symptome einer Unterfunktion nehmen einen stufenförmigen Verlauf. Am Anfang stehen Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Konzentrationsstörungen. Wenn die Schilddrüse weiter an Funktion verliert, kann das weitere Auswirkungen auf alle Organsysteme haben. Die Haut wird trocken und teigig, die Fingernägel brüchig, Haarausfall kann hinzukommen. Betroffene leiden zudem unter Frieren, Verstopfung und Gewichtszunahme bis hin zu einem langsamen Herzschlag und sogar neurologischen Symptomen wie Reflexabschwächung. Bei Frauen kann es auch zu Zyklusstörungen bis hin zum Ausbleiben der Regelblutung kommen. Die Symptome einer Überfunktion hingegen sind charakterisiert durch eine Überaktivierung sämtlicher Organsysteme unseres Körpers. Für diese Patienten sind innere Unruhe, verstärktes Schwitzen, Gewichtsverlust und Schlafstörungen sehr typisch. Bei älteren Patient:innen können die Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion oft weit weniger offensichtlich sein. Oft ist es ein Zufallsbefund im Labor im Sinne eines zu niedrigen TSH-Wertes oder im EKG bei festzustellender Herzrhythmusstörung.
Bei welchen Symptomen sollten Betroffene sowie die behandelnden Ärzt:innen eine Schilddrüsenunterfunktion als Ursache in Betracht ziehen?
Die typischen Frühsymptome sind Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und teilweise auch ein etwas depressives Stimmungsbild. Bei solchen Symptomen sollte man die Dauer hinterfragen – ob es eine Phase von wenigen Wochen ist, die sich dann wieder bessert, oder ob die Symptome vielleicht schon seit zwei oder drei Monaten bestehen. In diesem Fall sollte man einen Arzt aufsuchen, um frühzeitig Klarheit zu bekommen und nicht eventuell noch weitere Symptome zu provozieren, wie in meiner vorherigen Antwort aufgeführt.
Eine Schilddrüsenunterfunktion kann sich also auf verschiedene Organsysteme auswirken und den Alltag beeinträchtigen. Aus Ihrer ärztlichen Erfahrung: Was macht Ihren Patient:innen dabei am meisten zu schaffen?
Konzentrationsstörungen, verstärkte Müdigkeit und Gewichtsprobleme sowie Probleme mit Haar und Nägeln machen häufiger Frauen zu schaffen, sie kommen meist auch früher mit Symptomen als Männer. Männer beklagen neben Konzentrationsstörungen eher eine geringere Leistungsfähigkeit auf körperlicher Ebene, dies schließt auch eine verminderte Libido ein. Generell kann ich feststellen, dass sich die typischen belastenden Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion eher bzw. früher bei jüngeren Patient:innen bemerkbar machen. Ältere Patienten berichten von sich aus häufig über keine wesentlichen subjektiven Veränderungen, erstaunlicherweise selbst bei deutlich eingeschränkter Schilddrüsenfunktion. Das mag auch daran liegen, dass ältere Patienten sich mit schleichenden Symptomen eher abfinden oder glauben, dass es dem Alterungsprozess geschuldet ist, z. B. wenn vielleicht die Denkleistung nicht mehr so rege ist wie früher.
Wie kann eine Schilddrüsenunterfunktion heute behandelt werden und wie wirkt sich die Therapie auf das Leben Betroffener aus?
Für einen Arzt ist die Behandlung einer Schilddrüsenunterfunktion sehr befriedigend, weil für die Patient:innen in der Regel in kürzester Zeit eine Beseitigung der zuvor beklagten Symptome und damit Wiederherstellung einer normalen Lebensqualität ermöglicht wird. Es gibt viele Krankheiten, die man längst nicht so gut behandeln kann. Hier allerdings können wir seit vielen, vielen Jahren ein synthetisch hergestelltes Schilddrüsenhormon geben, das die Patient:innen allmorgendlich schlucken, eine halbe Stunde vor dem Frühstück und mit Wasser – nicht mit Kaffee oder Milch –, das ist eigentlich schon alles. Man schließt damit die Lücke, wenn die Erkrankten nicht mehr in der Lage sind, selbst ausreichend Schilddrüsenhormone zu produzieren.