Eine Krebserkrankung belastet nicht nur den Körper. Auch die Psyche der Betroffenen leidet. Im Interview berichtet Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf, Diplompsychologin und Leiterin der Abteilung medizinische Psychologie und medizinische Soziologie am Uni-Klinikum Leipzig, wie die Psychoonkologie beim Annehmen und Bewältigen einer Krebsdiagnose und -behandlung unterstützen kann.
Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf
Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie und Leiterin der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig
Foto: JGERBER
Eine gemeinsame Entscheidungsfindung kann zu besseren Behandlungsergebnissen führen.
Wie hat sich das Verständnis psychosozialer Begleitung von Krebspatienten entwickelt?
In den 1960ern wurde durch die Hospizbewegung in England der Grundstein für einen Perspektivenwechsel in der Onkologie gelegt, nämlich sich nicht nur auf die Krebsbehandlung und Sterbebegleitung zu fokussieren, sondern sich auch um die Lebensqualität der Krebspatienten zu kümmern. In der Zwischenzeit hat sich viel getan: in der klinischen Praxis bei Behandlung und Pflege sowie in der Forschung. Heute ist die Psychoonkologie die Brücke, die die moderne Hochleistungs-Krebsmedizin und die individuellen Bedürfnisse der Patienten als fühlende Individuen verbindet.
Die Psychoonkologie trägt dazu bei, dass Patienten mündiger in die Behandlung kommen – informiert und bereit, aktiv an der Behandlung ihres Krebses mitzuwirken. Wir stärken die Patienten darin, ihre individuellen Behandlungsziele zu definieren und zu formulieren. Eine Kommunikation auf Augenhöhe mit dem behandelnden Arzt ermöglicht Patienten, informierte und gemeinsame Entscheidungen zu treffen, die im Einklang mit ihren persönlichen Werten und Präferenzen stehen. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung kann zu besseren Behandlungsergebnissen führen.
Stetige Fortschritte in der Krebsforschung führen dazu, dass immer mehr Betroffene mit ihrer Krebserkrankung leben – manche jedoch mit schwerwiegenden Einschränkungen. Unsere Arbeit konzentriert sich deshalb zunehmend auch auf die Phase des „Cancer Survivorships“ und die psychosozialen Folgen für Patienten und ihre Angehörigen.
Zudem sehe ich die Psychoonkologie zunehmend als einen wichtigen Baustein der Gesundheitsvorsorge. Ein gesunder Lebensstil kann nicht nur das Krebsrisiko vermindern, sondern kann sich bei Betroffenen auch positiv auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität auswirken sowie das Rückfallrisiko senken.
Was kann die Psychoonkologie konkret leisten, um die Lebensqualität von Patienten während und nach der Behandlung zu verbessern?
Die Diagnose Krebs stürzt Betroffene oft in ein Gefühlschaos. Die Psychoonkologie unterstützt Patienten und Angehörige in dieser Situation und im weiteren Krankheitsverlauf z.B. im Rahmen der Krebsberatung durch Information, Unterstützung bei der Reduktion emotionaler und psychosozialer Belastungen und durch die Stärkung von Ressourcen.
Wir helfen Menschen, nach der Erkrankung zurück in eine „neue“ Normalität zu finden und auch mit der Erkrankung eine gute Lebensqualität und neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Psychosoziale Unterstützungsangebote finden sich in zertifizierten Krebszentren, Krebsberatungsstellen, der onkologischen Rehabilitation sowie im Rahmen ambulanter psychotherapeutischer Angebote. Darüber hinaus gibt es inzwischen eine Reihe geprüfter digitaler Informations- und Unterstützungsangebote.
Fordert das Betreuen von Patienten mit unterschiedlichem Krebs Sie besonders heraus?
Auch wenn die krankheits- und behandlungsbedingten Belastungen von Patienten mit unterschiedlichen Krebsdiagnosen verschieden sein können, gibt es gewisse Ähnlichkeiten in den emotionalen Belastungen und Aspekten der Krankheitsverarbeitung. Insbesondere erhöhen chronische Schmerzen und dauerhafte Funktionseinschränkungen das Risiko für psychische Belastungen wie Depressivität oder eine hohe Angstsymptomatik.
Wie unterstützen Sie Angehörige von Krebserkrankten?
Angehörige sind häufig stark belastet. Krebsberatungsstellen sind deshalb neben Angeboten für Patienten auch eine erste Anlaufstelle für deren Angehörige.
Im Verzeichnis des Krebsinformationsdienstes können Sie über eine Umkreissuche Anlaufstellen in Ihrer Nähe finden: