Günter Sappelt gewährt Einblicke in sein Leben mit einer unheilbaren Krankheit und den unterschiedlichsten Therapien, und erklärt, warum eine Selbsthilfegruppe gerade bei schweren Erkrankungen wie Krebs unterstützend und informierend zur Seite steht.
Günter Sappelt
Betroffener und Vorsitzender Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe Wuppertal e.V.
Selbsthilfegruppen spielen eine entscheidende Rolle, indem sie Betroffene umfassend informieren, auf ihrem Weg begleiten und Zuversicht schenken, mit der Krankheit umzugehen.
Wann wurde bei Ihnen Prostatakrebs diagnostiziert?
Im Mai 2004 bewegte mich der Prostatakrebs meines Arbeitskollegen dazu, meinen Urologen aufzusuchen. Ich ging bereits seit einigen Jahren zur Vorsorge, die damals lediglich nur per rektaler Tastuntersuchung vorgenommen wurde. Dieses Mal wurde mir erstmalig eine erweiterte Vorsorgeuntersuchung als individuelle Gesundheitsleistung (IGEL) angeboten. Neben der kostenlosen Tastuntersuchung konnte ich auf eigene Kosten eine rektale Sonografie der Prostata und einen PSA-Test durchführen lassen – ich willigte ein. Für den PSA-Test wurde Blut abgenommen und einige Tage später bekam ich das Ergebnis. Mein Urologe meldete sich telefonisch bei mir und bat mich kurzfristig in seine Praxis. Er erklärte mir, dass ich einen erhöhten PSA-Wert habe und er mir zu einer Biopsie der Prostata raten würde, um den Grund dafür zu kennen. Das Ergebnis war zunächst eine Erleichterung: eine Prostatitis, die mit Antibiotika therapiert wurde. Leider sank der PSA-Wert trotz dieser Therapie nicht ab, sodass zu einer erneuten Biopsie der Prostata geraten wurde. Diese zweite Biopsie führte schließlich zur Diagnose Prostatakrebs.
Wie haben Sie damals die Diagnose verkraftet?
Die Diagnose traf mich mit voller Wucht. Als 53-jähriger technischer Vertriebler im vollen Berufsleben und oft auf Reisen, stand ich vor der Frage: Wie geht es weiter? Werde ich bald sterben müssen? Leider wurde ich mit diesen Fragen von meinem Urologen gänzlich allein gelassen. Selbsthilfegruppen waren damals für diese Krankheit noch wenig verbreitet. Mit meiner Frau, der Familie und engen Freunden teilte ich von Anfang an meine Krankheit, aber nicht mit meinem Arbeitgeber und den Kollegen.
Welche Therapie wurde Ihnen anschließend empfohlen?
Nach der Diagnose empfahl man mir dringend zu einer Operation – der totalen Entfernung der Prostata (Prostatektomie), die jedoch aufgrund von Krebszellen im Lymphgewebe vorzeitig abgebrochen wurde. Nun stand fest: Ich war unheilbar an Prostatakrebs erkrankt! Als Therapie wurde eine Hormonentzugstherapie eingeleitet. Diese Therapie ist bis heute meine Basistherapie geblieben. In den Folgejahren gab es Höhen und Tiefen für mich aufgrund steigender PSA-Werte, die mehr oder minder erfolgreich mit verschiedenen Medikamenten therapiert werden konnten. 2007 erfolgte aufgrund eines stark steigenden PSA-Wertes eine perkutane Bestrahlung, die den PSA-Wert für einen längeren Zeitraum absinken ließ. Danach folgten verschiedene Therapiewechsel, bis im Dezember 2012 der PSA-Wert wieder stärker anstieg und eine Chemotherapie erfolgen sollte, die sofort nach dem ersten Zyklus abgebrochen werden musste, da ich eine toxische Polyneuropathie in beiden Unterschenkeln bekam und nicht mehr gehen konnte.
2013 brachte ein neues Medikament relative Stabilität: Ich habe es gut vertragen und konnte dadurch vier Jahre Lebensqualität “gewinnen”. Doch 2016 ließ die Wirkung nach und es musste ein anderes Medikament her: Es wirkte nur kurz und der zunächst sinkende PSA-Wert stieg bald wieder an. Mein Urologe hatte mir bereits zuvor die Lutetium-PSMA-Therapie (PSMA = Prostata-Spezifisches-Membran-Antigen) vorgestellt. Diese neue, mir noch gänzlich unbekannte RadioLiganden-Therapie (RLT) sollte mit einem “Strahler“ im Inneren meines Körpers die Krebszellen bestrahlen und somit vernichten. Das alles konnte ich mir im Herbst 2016 noch gar nicht vorstellen! Ich hatte zuvor nie davon gehört – trotz meiner bereits neunjährigen Mitgliedschaft in einer Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe. Ich willigte anschließend zu dieser neuen RLT ein. Ich hatte auch nicht viele anderen Optionen, schließlich galt ich bereits als austherapiert.
Mit der PSMA-PET/ CT-Diagnostik wird die Tumorlast im Körper bestimmt und mögliche Krebsbefälle von Organen und Knochen überprüft. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie liegt darin, ausreichend PSMA zu finden, damit das Nuklid (in diesem Fall 177Lutetium) an den Krebszellen andockt, Strahlung abgibt und die Krebszellen vor Ort zerstört.
Ab dem ersten Zyklus sank der PSA-Wert zu meinem großen Erstaunen rapide ab. Ich konnte mit dem Verlauf der Therapie sehr zufrieden sein, ich war glücklich! Ich habe die Therapie, abgesehen von Magenbeschwerden während der Therapie und einigen Tagen danach, sehr gut vertragen. Etwas Mundtrockenheit trat auf, aber konnte mit sauren Drops, Zitronenbonbons und Kaugummi in Schach gehalten werden. Psychisch fühlte ich mich geheilt, obwohl ich es bis heute nicht bin! Heute bin ich mCRPC-Patient – Patient mit einem metastasierten CastrationsResistenten ProstataCarcinom.
Wie geht es Ihnen heute?
Den Prostatakrebs konnte ich leider trotz der sehr erfolgreichen RLT nicht besiegen. Nach über fünf Jahren stieg der PSA-Wert wieder an und Metastasen in den Lymphknoten wurden per PSMA-PET/ CT diagnostiziert. Lokale stereotaktische Bestrahlung mit einem CyberKnife-Gerät erwies sich als wirksam, aber der Krebs kehrte in anderen Lymphknoten zurück. Aktuell unterziehe ich mich erneut einer systemischen RLT in einer Universitätsklinik. Der PSA-Wert sinkt kontinuierlich, die Therapie zeigt Wirkung, und es geht mir den Umständen entsprechend sehr gut.
Welche Bedeutung haben Selbsthilfegruppen für Sie?
Seit 2007 engagiere ich mich aktiv in einer Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe. Als langjährig Betroffer erhalte ich durch medizinische Vorträge wichtige Informationen über die Krankheit, aktuelle Therapiemöglichkeiten und bevorstehende Entwicklungen. Im Jahr 2019 wurde ich vom Leiter der Gruppe angesprochen, und seit September 2020 leite ich die Selbsthilfegruppe. Diese Gruppen spielen besonders bei schweren Erkrankungen wie Krebs eine entscheidende Rolle, indem sie Betroffene umfassend informieren, aufklären und auf ihrem Weg begleiten. Mitglieder teilen wertvolle Ratschläge und Erfahrungen, bieten unterstützende Tipps aus ihrem Netzwerk und schenken den Betroffenen Mut und Zuversicht im Umgang mit ihrer Krankheit.