Mit neun Jahren eine chronische Darmerkrankung, mit 30 Jahren die Diagnose Darmkrebs – das Leben hat Julia Pagel früh auf eine harte Probe gestellt. Doch statt sich unterkriegen zu lassen, hat sie gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben und sogar neue Lebensqualität zu gewinnen. Im Interview spricht sie offen über ihre Erfahrungen, ihren Weg zur Akzeptanz und wie ihr Stoma ihr ein neues, unbeschwertes Leben ermöglicht.
Ihr seid viel stärker als ihr jetzt vielleicht gerade denkt. Positiv bleiben – klingt im ersten Moment vielleicht nach einem wenig hilfreichen Kalenderspruch – aber es hilft!
Julia Pagel
Mit gerade einmal neun Jahren hast du die Diagnose “Colitis Ulcerosa” erhalten. Wie ist man deiner Erkrankung auf die Spur gekommen?
Ich habe zunächst die Diagnose Rheuma bekommen und kurz darauf kam die Darmentzündung dazu. Ich hatte starke Bauchschmerzen und musste sehr oft zur Toilette, mit blutigen Durchfällen. Nach einer Darmspiegelung wurde die Diagnose gestellt.
Wie würdest du deine Kindheit mit CED beschreiben? Was waren deine größten Herausforderungen?
Durch die schwere Darmentzündung war ich sehr eingeschränkt, da sie dem Körper viel Energie raubt. Ich war schnell erschöpft, habe zum Beispiel nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen können. Zudem habe ich durch den schnellen Stoffwechsel und die Appetitlosigkeit stark an Gewicht verloren. Aufgrund der vielen Arzttermine habe ich auch weniger Zeit für Dinge gehabt, die Kinder eben tun. Ich war ängstlich, irgendwo hinzugehen, wo ich nicht genau wusste, ob es dort eine Toilette gibt. Ich brauchte die Sicherheit, da ich unter Aufregung und Nervosität noch öfter als sonst schon zur Toilette gehen musste. Für meine Eltern war es sicherlich auf eine andere Weise schwer, ihr Kind so zu sehen und in gewisser Weise hilflos zu sein. Sie und meine große Schwester haben mich immer unterstützt und aufgefangen. Wir sind eine sehr positive Familie und halten bei allem zusammen.
Bei einer routinemäßigen Untersuchung im Jahr 2022 wurde bei dir Darmkrebs festgestellt. Gab es vorher schon Anzeichen und was waren damals deine ersten Gedanken?
Durch die Colitis habe ich zur Kontrolle jährlich eine Darmspiegelung. Da das für mich schon Routine war, habe ich mir im Vorhinein keinerlei Gedanken gemacht.
Im August 2022 wurde ein veränderter Polyp entdeckt, der nach der Gewebeprobe Krebs war. Da man den Polypen nicht allein entfernen konnte, und der ganze Darm bereits so stark entzündet war, beschloss man, den Dickdarm komplett zu entfernen. Ich kann mich noch sehr gut an den Anruf des Arztes erinnern, der mir dies mitgeteilt hat. Es hat mir im ersten Moment den Boden unter den Füßen weggezogen. Ein Stoma schien für mich, mit gerade einmal 30 Jahren, wie das Ende meines Lebens. Wie sollte ich damit jemals umgehen können? Da zwischen Diagnose und Operation nur zwei Monate lagen, war es auch einfach sehr schwer, das alles zu verarbeiten. Es ging alles so schnell, dass es auch Zeit brauchte, um zu verstehen, was gerade alles um einen und mit einem passiert.
Seit über zwei Jahren lebst du nun mit einem künstlichen Darmausgang (sog. Stoma) und gehst auf Instagram sehr offen damit um. Hattest du anfangs Bedenken und Sorgen, und wie lebst du nun mit deinem Stoma?
Heute kann ich sagen, dass der künstliche Darmausgang mir ein neues Leben ermöglicht hat und ich das Stoma als Teil von mir angenommen habe. Dabei hat es mir persönlich auch geholfen, mich auf Instagram mit meinem Stoma zu zeigen. Das ist im Grunde eine Art Eigentherapie für mich. Es hilft mir sehr dabei, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Ich hoffe, dass ich durch mein Instagram-Profil auch anderen, die dasselbe Schicksal haben, Mut machen kann. Mein Stoma hat zwar bisher keinen Namen bekommen, was viele Stoma-Träger machen, aber es ist meine ganz eigene Superpower. Mein Freund, den ich erst ein paar Monate vor der Diagnose und Operation kennengelernt habe, war mir dabei auch eine große Hilfe, da er daraus nie ein Thema gemacht hat. Er hatte es wahrscheinlich schneller akzeptiert als ich.
Du bist eine leidenschaftliche Weltenbummlerin. Wie lässt sich das mit der Erkrankung in Einklang bringen bzw. worauf musst du achten?
Tatsächlich kann ich nun, mit meinem Stoma, viel unbeschwerter auf Reisen gehen. Ich muss mir keine Sorgen und Gedanken mehr darüber machen, ob ich nicht gleich urplötzlich ganz dringend zu einer Toilette muss. Andererseits heißt es nun, die Hälfte des Koffers ist mit meinem Beutel und Versorgungsmaterial für mein Stoma bepackt. Man muss alles auf Vorrat mitnehmen und gut einplanen. Vielleicht muss man sich am Flughafen in der Security Kontrolle kurz erklären, was man denn da am Bauch hat, aber da habe ich bislang keine Probleme gehabt.
Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Gebt euch Zeit! Zeit zur Heilung und Zeit, euer Stoma anzunehmen. Ihr seid viel stärker als ihr jetzt vielleicht gerade denkt. Positiv bleiben – klingt im ersten Moment vielleicht nach einem wenig hilfreichen Kalenderspruch – aber es hilft! Es wird wieder besser werden.
Weitere Einblicke aus Julias Leben finden Sie auf ihrem Instagramprofil: