Samira Mousa, Kevin Hoffmann, Alexandra Leyer und Danielle Reinecke haben alle vier Multiple Sklerose (MS), eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Ein Gespräch mit ihnen über Auswirkungen ihrer Krankheit auf ihr berufliches wie privates Leben und darüber, mit welchen Herausforderungen sie dabei kämpfen und wie ihnen auch ihr Wunsch nach mehr Aufklärung als Influencer Kraft und Motivation gibt, mit MS besser umzugehen und anderen zu helfen.
Könnt ihr zu Beginn schildern, wie sich die MS auf euer Leben körperlich auswirkt?
Kevin: Ich hatte den ersten Schub beim Sport und die klassische Sehnerventzündung, sodass ich auf dem rechten Auge weniger sehen konnte. Hinzu kamen taube Gliedmaßen, kein Gefühl in den Fingern. Ich habe auch lange Zeit mit mir und meiner Psyche gekämpft. Der größte Erfolg hätte mich nicht zum Lächeln gebracht. Ich hatte mich völlig isoliert. Inzwischen bin ich aber schubfrei und engagiere mich in der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft.
Danielle: Sehnerventzündungen führten dann zur Diagnose: MS. Ich bin inzwischen leider aus dem Arbeitsleben heraus. Hin und wieder übernehme ich einen Job, auch um die Rente aufzubessern. Aber problematisch finde ich tatsächlich das Thema Krankheitsarmut, was mich umtreibt. Es fällt außerdem schwer, von anderen die Anerkennung für unsere Probleme zu bekommen. Denn man sieht Betroffenen mit MS die Krankheit nicht immer gleich an.
Alexandra: Es begann bei mir 2012. Ich hatte auch die klassische Sehnerventzündung. Ich sah Doppelbilder, alles verschwommen und verschleiert. Ein Neurologe teilte mir dann die Krankheit mit. Nach 2017 ging es dann richtig mit Taubheitsgefühl, Gangunsicherheit und Kribbeln los. Seitdem hatte ich sechs Schübe. Bei mir kamen als Folgeerscheinungen Angststörungen, Depressionen und eine Essstörung hinzu. Ich arbeite als Krankenschwester in einem sehr stressigen Job. Deshalb bin ich nur 25 Stunden in der Woche tätig. Mehr tut mir nicht gut.
Samira: Ich litt zu Beginn auch sehr unter den psychischen Belastungen. An jedem Morgen dachte ich: Jetzt ist der Tag gekommen, heute kann ich nicht mehr laufen. Bis 2017 hatte ich sehr viele Schübe, inzwischen bin ich schubfrei. Tatsächlich geht es mir von Tag zu Tag sogar besser, was ich nicht erwartet hätte. Allerdings habe ich auch mein Leben verändert. Da macht die Summe der Dinge den Unterschied. Ich bin kein Partygirl mehr in Berlin. Dank Psychotherapie habe ich Traumata verarbeitet. Beruflich bin ich u. a. selbstständige Unternehmensberaterin und Autorin. Ich arbeite maximal fünf Stunden am Tag. Mehr geht nicht. Ich sage immer: Die MS ist der größte Luxus, den ich mir gegönnt habe. Die finanzielle Belastung ist schon erheblich. Als chronisch Erkrankter kannst du dich in Deutschland außerdem nicht vernünftig absichern. Gerade als Selbstständiger bist du in diesem System nicht vorgesehen. Wir sind doch real – finden aber am Rande statt.
Ihr habt das berufliche Leben schon angesprochen. Was hat sich in eurem privaten Leben verändert?
Alexandra: Mein Freundeskreis ist ein anderer. Ich war früher nächtelang auf Partys unterwegs und konnte da mithalten. Aber bei einem Festival drei Tage lang durchzufeiern, schaffte ich irgendwann nicht mehr. Leider habe ich erfahren, dass einige dafür wenig Verständnis hatten und auf meine Krankheit keine Rücksicht nahmen. Es hat Jahre gedauert, bis ich die herausgefunden habe, die wirklich für mich da sind. Sie nehmen mich so, wie ich bin.
Samira: Meine Partyfreunde sind inzwischen auch nicht mehr Teil meines Lebens. Ich habe aber inzwischen auch andere Interessen. Mein neuer Partner muss mich als Samira mit MS, die nicht immer stark sein kann, erst mal kennenlernen. Hier muss es mir gelingen, ihn nah an mich heranzulassen. In einer Beziehung kannst und darfst du das nicht verbergen.
Danielle: Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit einem anderen MS-Erkrankten. Der große Vorteil ist, dass wir uns gegenseitig unterstützen, jeder nach seinen Stärken. Das ist eine unglaubliche Hilfe.
Die Medizin macht inzwischen sehr viele Fortschritte. Als wie hilfreich oder nicht empfindet ihr sie?
Kevin: Bei unserer Erkrankung spielen in der Therapie sicher mehrere Aspekte eine Rolle. Dank der Medizin ist sie inzwischen besser therapierbar. Gerade seit Anfang 2000 hat sich hier viel verbessert. Inzwischen betrachtet man in der Medizin den Körper ja auch ganzheitlicher. Idealerweise hat man aber auch immer seine Ernährung und den Nährstoffhaushalt im Blick. Ich sage immer: Ich muss das beste Benzin tanken. Ich empfehle einen Mix aus einer guten Therapie, Ernährung und einem gesunden Mindset. Traumata müssen verarbeitet werden. Hinzu kommen Sport und stressfreies Leben.
Du engagierst dich in der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG). Warum, und was bietet sie an?
Kevin: Ich habe mal bei YouTube ein Video zu meiner Erkrankung veröffentlicht. Das ging in der MS-Bubble viral. Die Gesellschaft ist daher auf mich aufmerksam geworden. Ich hatte als Betroffener das Problem, dass ich erst mit Informationen überschüttet wurde, von Freunden, Familie und Ärzten. Dann verlor ich die Übersicht. Auf der anderen Seite fehlten mir viele Informationen. Ich weiß, dass sich andere Betroffene oft alleingelassen fühlen. Sie müssen Ansprechpartner suchen. Ihnen wird eine unnötige Therapie aufgeschwatzt. Sie geraten gerade zu Beginn in einen Abwärtsstrudel aus täglicher Angst und müssen sich allein her- auskämpfen. Das versuche ich mit meinem Engagement bei der DMSG zu ändern. Sie bietet eine Plattform und Community für alle Zielgruppen. Es gibt dort Beratungsangebote, auch für Eltern mit MS, Online- Funktionssport-Angebote und vieles mehr.
Jetzt leben wir wieder in der kalten Jahreszeit. Macht euch der Winter bei eurer Erkrankung zu schaffen?
Samira: Ich kenne eher Menschen, die im Sommer unter Fatigue leiden. Die tragen dann sogar extra Kältewesten.
Kevin: Mich stört die kalte Jahreszeit mit zu wenig Sonne. Das schlägt mir aufs Gemüt. Hinzu kommt der Mangel an Vitamin D.
Alexandra: Ich spüre extremes Kribbeln und Zittern in den Beinen in diesem nasskalten Winterwetter. Auf der anderen Seite gehört diese dunkle Jahreszeit zur Natur. Die hat sie nicht ohne Grund. Vielleicht können wir uns daran ein Beispiel nehmen und sie als natürliche Pause sehen. Als Menschen können wir darin zur Ruhe kommen und mehr entspannen.
Danielle: Ich leide im Winter unter Spastiken und finde das extrem schmerzhaft. Es ist besonders mühselig, im Alltag zu bestehen. Das Laufen auf dem Gehweg ist wegen der Unebenheiten sehr schwierig. Gehe ich stattdessen auf der Straße, bekommt man Ärger mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Ich fühle mich danach wie nach einem Marathon und bin erst mal platt. In dieser Corona-Zeit sind auch die Pflegekräfte extrem gefordert.
Ihr seid zum Teil auch als Influencer tätig. Warum habt ihr euch dafür entschieden und wie sind die Reaktionen?
Samira: Ich hatte bei meiner ersten Recherche zum Thema nur Schreckensmeldungen gefunden, die Angst schürten. Ich sagte mir: Es muss doch möglich sein, mit MS auch ein normales Leben zu führen! Inzwischen habe ich neben meinem Blog drei Bücher geschrieben. Der Kontakt mit den Leserinnen und Lesern ist sehr intensiv. Mir kommen die Tränen, wenn ich Feedback bekomme, dass jemand ohne meine Worte nicht gewusst hätte, wie er mit der MS hätte leben können. Da muss ich dann erst mal durchatmen. Ich bin dankbar, dass ich helfen kann. Es ist aber nicht nur easy. Man wird in der Community auch angegangen.
Kevin: Ich finde wichtig, dass wir authentisch berichten. Wir müssen alle Facetten darstellen: Das Leben mit MS kann gut laufen. Es kann Einschränkungen geben. Es kann aber auch wirklich hart werden, man gibt aber trotzdem nicht auf. Die Menschen können sich eher damit identifizieren, wenn man eben nicht nur Positives erzählt.
Alexandra: Ich habe zu Beginn nur für mich als Selbsttherapie geschrieben. Ich kannte auch niemanden mit MS. Dann habe ich etwas veröffentlicht und es kamen immer mehr Leserinnen und Leser hinzu. Ich habe tolles Feedback und viel Vertrauen erhalten und mehr Leidenschaft hineingesteckt. Es tut mir gut und macht Spaß. Erst wollte ich mir also nur etwas von der Seele schreiben. Jetzt ist es in etwas ganz Wunderbaren geendet. Ein Thema, das mich bewegt, ist die Frage nach einem erfüllten Leben. Das begegnet einem oft. Für mich bedeutet das, in Frieden und Fülle zu existieren. Ich habe zwar Einschränkungen und kann nicht so viel verwirklichen wie andere. Aber deshalb lebe ich noch lange nicht im Mangel. Wichtig ist auch, der Krankheit nicht so viel Widerstand zu geben. Sonst gibt man ihr zu viel Negativität und Macht, die sie eigentlich nicht hat. Ich möchte im Frieden mit mir und meiner Krankheit leben.
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Mehr Informationen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft zur Erkrankung Multiple Sklerose, Hilfsmittel, Medien, Kontaktadressen und Community unter: dmsg.de
Samira Mousa alias @chronischfabelhaft
Blog: chronisch-fabelhaft.de
Kevin Hoffmann alias @kevin_kaempferherz
Blog: kevinhoffmann.de
Alexandra Leyer alias @wunderflecken
Blog: wunderflecken.wordpress.com
Daniela Reinecke
Botschafterin der DMSG
Youtube: DMSG Community