Im Fokus: Nicht-dystrophe Myotonien & Neuromyotonien
In Deutschland sind mehr als 100.000 Menschen von einer neuromuskulären Erkrankung betroffen. Muskelschwund und Muskelschwäche sind die wesentlichen Symptome neuromuskulärer Erkrankungen. Bislang sind rund 800 verschiedene Erkrankungen bekannt, die zum Teil im Kindes- oder auch erst im Erwachsenenalter auftreten. Jede einzelne von ihnen ist selten, teilweise sogar sehr selten. Die Mehrzahl der Krankheiten ist genetisch bedingt und bis heute leider noch immer unheilbar. Die Unterstützung Betroffener und deren Angehöriger ist das erklärte Ziel des Vereins Mensch & Myotonie e. V.. Der Fokus der gemeinnützigen Patientenorganisation liegt dabei auf den Nicht-dystrophen Myotonien, Neuromyotonien sowie periodischen Paralysen. Drei Mitglieder des Vereins geben einen kurzen Einblick in ihren Alltag mit diesen seltenen Leiden.
Diagnose: Paramyotonia congenita Eulenburg
Gerlinde Brück
Welche Hürden hat die Erkrankung Ihnen in den Weg gelegt?
Es begann Ende 20. Meine schon vorher schwache Lehrerstimme verließ mich immer mehr, das Sprechen war nur noch leise und mit Pausen möglich. Musikunterricht (mein Hauptfach) und Sport waren eine Tortur. Aber: Ich war schwanger und das Problem damit vertagt.
Mit der Zeit traten massive Einschränkungen auf: tägliche Schwächeanfälle mit Komplettlähmungen, Stehen funktionierte kaum noch, Schmerzen. Wie sollte ein Wiedereinstieg in den Beruf gelingen?
Ärzte fanden nichts und schickten mich zur Psychotherapie. Die hinzugezogenen Amtsärzte bescheinigten mir samt und sonders Simulantentum. Kollegen wandten sich ab – ich sah ja völlig gesund aus!
Eines Tages wurde gegen mich ein Disziplinarverfahren wegen „unerlaubten Fernbleibens vom Dienst“ eingeleitet. Dieses gewann ich nur aufgrund einer kurz vorher gestellten Fehldiagnose: Parkinson! Nun war ich erwerbsunfähig und kann seitdem meinen geliebten Beruf nicht mehr ausüben.
Die richtige Diagnose wurde erst Jahre später gestellt.
Diagnose: Myotonia congenita Becker
Volker Kowalski
Welche Reaktionen und Vorurteile stören Sie am meisten, wenn es um die Erkrankung geht?
Die für Außenstehende nicht erkennbare Erkrankung hat mich schon oft bloßgestellt. In der Schule bin ich beim
Schwimmunterricht beinahe ertrunken, obwohl ich schwimmen kann.
Die plötzlich eingetretene Bewegungsunfähigkeit war für mich selbst nicht vorhersehbar. Beim Gang an die Schultafel bin ich durch die Blockade meiner Muskeln gestürzt – auch diesmal vor der gesamten Klasse. Eine Diagnose hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht.
Selbst meine Geschwister und Eltern haben meine Probleme nicht erkannt bzw. ignoriert. Aussagen wie „Der Junge ist halt dick und faul“ fielen. Mein Vater versuchte, mich mit körperlicher Gewalt zu schnellerem Lauf die Treppe rauf zu animieren.
Meine Diagnose wurde erst im Alter von 15 Jahren gestellt. Weil ich den Stress in der Schule nicht mehr ausgehalten habe, bin ich damals selbst zu einem Arzt gegangen.
Die unterschiedlichen Facetten der Myotonie sind einem Interessierten nur schwer und sehr zeitaufwendig zu erklären. Selten nimmt sich jemand dafür die Zeit.
Diagnose: Neuromyotonie
Norbert Regenit
Wie war Ihr Weg zur Diagnose?
2006 bekam ich plötzlich ein ungewöhnliches leichtes Ziehen in der Beinmuskulatur.
Angefangen mit der Allgemeinmedizin über die Neurologie, Neuropathologie, Schlafmedizin, Nuklearmedizin, Rheumatologie, Radiologie, Orthopädie wurden letztendlich in einer Schmerzambulanz die Symptome mit starken Medikamenten behandelt. Bis dahin hatte sich das leichte Ziehen zu einem dauer- haften muskelkaterartigen Schmerz entwickelt.
Selbstzweifel und Unsicherheit hatten sich ausgebreitet. Einige Ärzte stellten zur Vertuschung ihrer eigenen Ratlosigkeit schnell eine psychiatrische Erkrankung als Ursache in den Raum. Das wiederum verstärkte die Selbstzweifel.
Bereits resignierend überredete mich meine Frau zu einer weiteren Untersuchung. Nach acht Jahren wurde an einer Uniklinik die Diagnose Neuromyotonie gestellt. Obwohl die Krankheit nur einen von über einer Million Menschen trifft und eine Heilung nicht in Aussicht steht, war die Diagnose ein riesiger Befreiungsschlag.
Informationen zur Patientenorganisation „Mensch & Myotonie gem. e. V.“
Eine Mitgliedschaft in der ehrenamtlich geführten Patientenorganisation „Mensch & Myotonie gem. e. V.“ ist komplett kostenlos. Jeder zusätzliche Beitritt stärkt uns, unsere Interessen in der Öffentlichkeit und bei Institutionen wahrzunehmen. Zusätzlich zu den „NDM“ engagieren wir uns auch für Betroffene von „Periodischen Paralysen“ sowie von „Neuromyotonien“. Machen Sie mit – in Ihrem und unserem Interesse!
Weitere Informationen finden Sie unter www.menschundmyotonie.de
Kontakt:
Mensch & Myotonie e. V.
Postfach 16 03 30
44333 Dortmund
1. Vorsitzender
Volker Kowalski
[email protected]
Tel.: 0231-803290 ( ab 12 Uhr )