Tina (28) verlor über Nacht ihr Augenlicht, heute ist sie Mutter, Make-up-Artist und Ehefrau. Wie sie ihren Alltag meistert und was sie sich für alle Menschen mit Handicap wünscht, erzählt sie im Interview.
Du bist mit der Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa geboren, konntest aber als Kind noch sehen. Woran kannst du dich erinnern?
Ich kann mich noch an wahnsinnig viel erinnern. Ich bin ein totaler Familienmensch und meine visuellen Erinnerungen drehen sich alle um meine große Familie. Es sind nicht die materiellen Dinge, eher gemeinsame Momente und Situationen, die wir zusammen verbracht haben.
Wie hat sich die Krankheit zu Beginn bemerkbar gemacht?
Ich habe das von Geburt an. Die Krankheit hat sich schleichend entwickelt. Ich war immer sehr lichtempfindlich, doch das konnte ich immer gut ausgleichen. An sehr sonnigen Tagen beispielsweise mit speziellen Sonnenbrillen, die auch an der Seite geschlossen sind. Richtig schlimm wurde es, als ich 15 wurde.
Wusstest du, dass du eines Tages erblinden würdest? Warst du darauf vorbereitet?
Tatsächlich überhaupt nicht. Ich war zwar immer in ärztlicher Betreuung und bin regelmäßig zu Kontrollen gegangen, doch da war immer alles auf dem gleichen Stand. Die Ärzte haben uns immer versichert, dass die Erblindung nicht eintreten wird. Und selbst wenn, dann erst in sehr hohem Alter.
Leider haben sich die Ärzte geirrt.
Ja, leider. Von heute auf morgen war ich blind. Ich bin am 3. Januar 2008 abends ins Bett gegangen und nachts aufgewacht. Ich wollte mir ein Wasser holen und habe das Licht angemacht. Es wurde nicht hell. Ich bin dann zu meiner Schwester, habe sie geweckt und ihr gesagt, dass das Licht nicht angeht. Sie hat mich dann angemotzt, dass das Licht doch an ist. Für mich war es das aber nicht. Alles war dunkel, und das blieb es auch.
Was hast du in dem Moment gedacht?
Ich habe die Hände vors Gesicht geschlagen und bin in eine Schockstarre verfallen. Ich habe nichts mehr um mich herum wahrgenommen und weiß fast nichts mehr von dieser Nacht.
Wie geht man damit um, wenn man plötzlich blind ist?
Ich habe sehr viel mit mir selber ausgemacht. Ich musste die Schule wechseln und bin auf eine Blindenschule gekommen. Dort hat man mir sehr geholfen. Ich musste ja alles neu lernen. Selbst die kleinsten Kleinigkeiten stellten für mich auf einmal eine riesengroße Herausforderung dar. Angefangen beim Schuhezubinden bis hin zum Essen. Ich habe mich sehr zurückgezogen und meine Familie hatte es auch nicht leicht mit mir. Die alte Tina war einfach nicht mehr da.
Ist „die alte Tina“ im Laufe der Jahre zurückgekommen?
In Teilen ja, doch dieser harte Schicksalsschlag hat schon meine Sicht auf das Leben verändert und mich reifer werden lassen.
Kannst du beschreiben, was du noch visuell wahrnimmst?
Drei Monate nach der Erblindung fing es an, dass ich Hell und Dunkel sowie alles in Form von Schatten und Umrissen wahrnehmen konnte. Die Sinne schärfen sich sehr. Das Gehör ist meine größte Stütze. Aber auch Gedächtnisarbeit ist ein großer Punkt. Man merkt sich sehr viele Dinge, weiß dadurch, wo was zu finden ist.
Gibt es etwas, das dich im Alltag besonders herausfordert?
Es gibt immer wieder Situationen, bei denen man an seine Grenzen stößt. Meine größte Herausforderung ist mein fünfjähriger Sohn. Er kann sehen. Ich hatte natürlich schon in der Schwangerschaft Ängste und auch, als er noch so klein war. Ich habe mich selbst total unter Druck gesetzt, muss aber sagen, dass alles immer sehr gut funktioniert hat. Mein Mann und meine Familie haben mich immer bei all meinen Träumen und auch deren Umsetzung unterstützt – dafür bin ich unendlich dankbar.
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