Epilepsieerkrankte werden bis heute stark tabuisiert. Univ.-Prof.in Dr. med. Susanne Knake, Neurologin und Erste Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie begründet hier, warum wir dringend über Epilepsien sprechen müssen:
1. Epilepsie kann jeden treffen.
2. Jeder Zehnte erlebt in seinem Leben einen epileptischen Anfall.
3. Jede:r Hundertste leidet an einer aktiven Epilepsie1.
Univ.-Prof.in Dr. med. Susanne Knake
Fachärztin für Neurologie, Intensivmedizin und Geriatrie, Stellvertretende Direktorin der Neurologischen Klinik am Uni-Klinikum Marburg, Leitende Oberärztin, Leiterin Epilepsiezentrum Hessen (EZH), 1. Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie
Foto: Universitätsklinikum Marburg
An Epilepsie Erkrankte und Angehörige sorgen sich wegen eines SUDEP. Wie hoch ist das Risko dafür – und wie lässt es sich senken?
Der SUDEP („sudden unexpected death in epilepsy“) ist zwar selten, dennoch ein reales Risiko, über die wir deshalb sprechen müssen: Pro Jahr kommt es bei ca. 1 von 1.000 erwachsenen Betroffenen zu diesem plötzlichen, unerwarteten Tod. Wie beim sogenannten plötzlichen Kindstod sind auch die Ursachen des SUDEP noch nicht hundertprozentig erforscht. Wir wissen aber, dass Männer ein erhöhtes Risiko haben, insbesondere im Alter von 20 bis 40 Jahren. Studien ergaben zudem, dass der SUDEP eher allein sowie auf dem Bauch Schlafende trifft. Er tritt typischerweise 20 bis 40 Minuten nach einem epileptischen Anfall auf – Herz oder Atmung setzen dabei aus. Epilepsiepatientinnen und -patienten sowie Angehörige müssen das wissen, um für den seltenen Fall vorbereitet zu sein. Ratsam ist es, dass Letztere einen Ersthelfer-Kurs zu absolvieren, um sofort die richtigen Wiederbelebungsmaßnahmen ergreifen zu können. Für allein Lebende können ggf. Überwachungssysteme geeignet sein, die ggf. die vor allem risikobehafteten nächtlichen Anfälle aufzeichnen können.
Grundsätzlich ist Anfallfreiheit das Ziel der Epilepsiebehandlung – je weniger, vor allem nächtliche und vor allem weniger große, bilateral-tonisch-klonische Anfälle auftreten, desto geringer ist das SUDEP-Risiko. Therapietreue zahlt sich zudem aus – laut Studien mit deutlich weniger Anfällen. Außerdem gilt – je früher die Erkrankung diagnostiziert wird, und die Behandlung startet, desto günstiger ist oft der Verlauf, auch bzgl. der begleitenden sozialen Einschränkungen. Sollten Patienten nach dem ersten oder zweiten Medikament nicht anfallsfrei werden, gilt: Eine frühe spezialisierte Behandlung ist wichtig, um dann die Diagnose im Epilepsiezentrum zu prüfen und herauszufinden, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff in Betracht kommt. In Deutschland dauert es aktuell immer noch 10 Jahre, bis ein Patient mit Anfällen zu einer solchen Diagnostik zugewiesen wird, das ist zu lange und so vergehen für den Patienten wichtige Jahre. Und, das zeigt die Praxis, ein erfolgreicher epilepsiechirurgischer Eingriff kann bei einem Teil der Patienten anhaltende Anfallsfreiheit erzielen.
Wann kommt eine OP in Frage?
Erster Anhaltspunkt ist, dass zwei Anfallssuppressiva der ersten Wahl keinen Behandlungserfolg brachten. Sobald das der Fall ist, sollten sich Betroffene in einem Epilepsiezentrum vorstellen. Dort prüfen Spezialistinnen und Spezialisten die Eignung für einen epilepsiechirurgischen Eingriff: Unter anderem werden Betroffene dann Tag und Nacht mit einem Video-EEG untersucht, um ein Bild ihrer individuellen Erkrankung zu gewinnen. Aus welcher Hirnregion kommen Anfälle, wie breiten sie sich aus? Um einen oder mehrere Anfallherde zu lokalisieren, messen wir die Hirnaktivitäten bei Anfällen und suchen im Gehirn Läsionen, im MRT-Bild oft angeborene oder im Laufe des Lebens erworbene, oder sehr diskrete Organisationsstörungen der Hirnstruktur. Am Ende ergibt sich eine Art Landkarte des Gehirns: Ein einzelner Anfallsherd (fokale Epilepsie, etwa 60 Prozent aller Epilepsien), der operativ gut erreicht und entfernbar ist, und dessen Entfernung wahrscheinlich keine wichtigen Hirnfunktionen beeinträchtig, spricht für eine OP.
Was ist beim Behandeln älterer Epilepsie-Betroffener herausfordernd?
Wir beobachten, dass mit steigender Lebenserwartung und dem Veralten unserer Gesellschaft auch mehr Epilepsieerkrankungen neu auftreten. Lag das größte Risiko an Epilepsie neu zu erkranken früher bei unter Einjährigen, liegt es heute bei den 65+-Jährigen. Herausfordernd ist, dass die allgemeine Gesundheit in diesem Alter häufig bereits beeinträchtigt ist. Bestimmte Alterserkrankungen erschweren und/oder verzögern die Diagnose einer Epilepsie zudem. Auch die Behandlung älterer Epilepsie-Betroffener fordert heraus, unter anderem ist die Dosierung von Medikamenten schwieriger: Ältere benötigen oft andere Dosierungen und haben oft eine bunte Begleitmedikation, die die Therapieauswahl erschwert.
Müssen Frauen mit Epilepsie auf ein Kind verzichten?
Epilepsie-Patientinnen können eine gesunde Schwangerschaft erleben, ein gesundes Kind zur Welt bringen und dieses stillen. Auch darüber müssen wir dringend sprechen, denn laut einer Umfrage glaubt die Hälfte der betroffenen Frauen noch immer, dass dem nicht so sei und verzichtet zum Teil auf Nachwuchs. Das muss nicht sein. Mein Rat: Epilepsie-Patientinnen mit Kinderwunsch sollten sich ihren Ärztinnen und Ärzten frühzeitig anvertrauen und medikamentös bestmöglich einstellen lassen. Es gibt inzwischen Anfallssuppressiva, die nach aktuellem Wissen kein Risiko fürs Kind darstellen – weder im Mutterleib, noch beim Stillen. Wichtig ist, dass sich die werdende Mutter hier möglichst vor einer Schwangerschaft beraten lässt.
Epilepsie und Depressionen – gibt es da einen Zusammenhang?
Bei Epilepsie-Patientinnen und -Patienten treten Depressionen und krankhafte Ängste (Angststörungen) häufiger auf. Die behandelnden Mediziner: innen sollten die Möglichkeit einer solchen psychischen Begleiterkrankung immer in Betracht ziehen, wenn sich die Epilepsie-Patientinnen und – Patienten erstmals vorstellen. Das ist wichtig, da manche Anfallssuppressiva die Gefühlslage depressiver Betroffener noch weiter verschlechtern können.
Epilepsien – was sind die großen Tabus?
Im Gespräch mit Betroffenen erkenne ich zwei große Tabus: „Epilepsie und Kinderwunsch“ sowie „Epilepsie und Job“. Um diese Themen zu enttabuisieren, ist Aufklärung nötig. Die können behandelnde Mediziner: innen und Epilepsieberatungsstellen leisten. Betroffene finden im Internet gute Quellen zur Erstinformation und Hilfe zur Selbsthilfe.
Hier gibt’s verlässliche Infos zu Epilepsie
Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. (DGfE)
www.dgfe.org
Deutsche Epilepsievereinigung (DE)
www.epilepsie-vereinigung.de
Stiftung Michael
www.stiftung-michael.de
Hirnstiftung
www.hirnstiftung.org/alle-erkrankungen/epilepsie
Junge DE
www.epilepsie-vereinigung.de/junge-de