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    Diagnose Morbus Crohn: „Offenheit und gegenseitige Rücksichtnahme sind das A und O!“

    Fotos: Privat

    Als Paolo 22 Jahre alt ist, bekommt er die Diagnose Morbus Crohn. Irgendwann wird es so schlimm, dass er einen künstlichen Darmausgang (sog. Stoma) bekommt. Ende 20, chronisch krank und Beutel am Bauch: So sah seine neue Lebensrealität aus.

    Mittlerweile geht er offen mit seiner Erkrankung um und spricht ganz transparent über sein Leben mit CED und Stoma, um andere Betroffene zu unterstützen und aktiv Aufklärungsarbeit zu betreiben. Vor allem die Themen Partnerschaft und Intimität können für Betroffene große Stolpersteine sein.

    Wir sprachen mit Paolo und seiner Partnerin Annika darüber, wie sie beide damit umgehen und warum ein offener Umgang mit chronischen Erkrankungen so wichtig ist.

    Verständnis und Einfühlsamkeit sind extrem wichtig in diesem Prozess, damit die betroffene Person merkt: Ich bin gut so, wie ich bin, und ich werde genau so geliebt.

    Paolo, du hast Morbus Crohn und lebst zudem mit einem Stoma. Du gehst sehr offen mit deiner Erkrankung um. Das fiel dir sicher nicht immer leicht, oder?

    Das war tatsächlich nicht leicht, am Anfang war das sogar eine Sache, für die ich mich sehr geschämt habe. Deswegen habe ich mich auch so schwer getan, das Stoma überhaupt machen zu lassen. Ich habe vor meiner Erkrankung als Personal Trainer gearbeitet, habe Sport studiert und sah dementsprechend fit aus. Die Vorstellung, diesen Beutel an meinem damals durchtrainierten Körper zu haben, fand ich schrecklich, abstoßend und ekelhaft. Ich habe sieben Jahre lang lieber in täglichem Schmerz verbracht. Als der Crohn lebensbedrohlich für mich wurde, stand ich dann vor der Entscheidung: Beutel oder Tod. Zum Glück hat die Vernunft gesiegt und ich habe mich für den Beutel entschieden.

    Als ich mich 2020 wieder besser fühlte, habe ich angefangen, TikTok-Videos zu machen, ursprünglich zum Thema Anime. Ich habe mir eine Community von 65.000 Menschen aufgebaut, und einer aus dieser Community wusste, dass ich ein Stoma habe. Er fragte mich, warum ich nicht darüber mal ein Video mache. Ich dachte: Warum sollte ich das tun und etwas so Vulnerables von mir preisgeben? Es ging mir aber nicht mehr aus dem Kopf und ich fragte mich dann, warum eigentlich nicht? Schließlich hat mir mein Stoma das Leben gerettet. Ich habe mich sehr überwinden müssen, aber habe das Video gemacht. Eigentlich bestand es aus einer Minute um den heißen Brei herumreden und am Ende ganz kurz zwei Sekunden lang das Stoma zu zeigen. Ich war schon auf alle möglichen Ekel-Kommentare eingestellt, aber genau das Gegenteil ist passiert: Das Feedback war überwältigend positiv und ich kam mit Menschen in Kontakt, die jemanden im nahen Umfeld hatten, der ein Stoma trägt, oder die selbst ein Stoma haben. Das war mein Start als Stoma-Content-Creator und mein Welcome in der Stoma-Community.

    Wie war das für euch beide, als ihr euch kennengelernt habt?

    Paolo: Da habe ich schon Content zu diesem Thema gemacht, dadurch war das Thema direkt vom Tisch.

    Annika: Wir haben uns über Instagram kennengelernt, deswegen wusste ich, dass Paolo eine CED hat und mit Stoma lebt.

    Für mich war das überhaupt kein Thema, vor allem, weil ich auch im familiären Umfeld Menschen mit chronischen Erkrankungen habe. Klar, als wir uns dann näher kennengelernt haben, habe ich erst mal gemerkt, was es bedeutet, so eine Erkrankung zu haben und wie es einen im Alltag einschränken kann. Aber es war nie so, dass ich gedacht hätte: Nee, sowas geht gar nicht in einer Partnerschaft.

    Welche Rolle spielt Paolos Morbus Crohn in eurem Alltag als Paar, besonders, wenn es Paolo gerade krankheitsbedingt nicht gut geht?

    Paolo: Ich sage ganz offen, wenn es mir nicht gut geht. Ich möchte nicht, dass Annika sich Sorgen macht, wenn ich plötzlich abwesend scheine oder ihr nicht die Liebe entgegenbringe, die sie sonst von mir bekommt.

    Wenn man einen Schub hat, hat man einfach sehr mit seinen Schmerzen zu tun. Ich bin dann eher in mich gekehrt und suche mir Ruheinseln. Ein offener Umgang damit in der Partnerschaft ist wichtig, damit man sich gegenseitig unterstützen kann. Sie kocht mir dann z. B. leicht verträgliche Gerichte, krault mir den Kopf und ist einfach für mich da. Genauso mache ich das auch, wenn es ihr mal nicht gut geht und Annika z. B. Periodenschmerzen hat. Offenheit und gegenseitige Rücksichtnahme sind das A und O. Das Schlimmste, was man machen kann, ist, sich zu verschließen, denn dann besteht die Gefahr, dass der Partner/die Partnerin das persönlich nehmen könnte.

    Annika: Inzwischen spüre ich auch, ohne dass Paolo etwas sagt, dass es ihm nicht gut geht. Dann frage ich auch aktiv nach, gebe ihm den Raum, den er braucht und schaue, was ich tun kann, damit es ihm besser geht. Denn in gewisser Weise leide ich ja mit ihm mit und es fällt mir schwer, mit anzusehen, wenn es ihm schlecht geht.

    Wie geht ihr das Thema Intimität mit CED/Stoma an und was ist besonders für dich, Paolo, dabei wichtig, damit du dich fallen lassen kannst?

    Paolo: Ich war Annika da einen Schritt voraus, da ich das Stoma schon einige Jahre hatte und auch vorher bereits in Beziehungen war. Das erste Mal war es recht schwierig, mich dahingehend zu öffnen. Aber da meine erste Partnerin, die mich mit Stoma kennengelernt hat, eine Mutter mit einer chronischen Erkrankung hatte, war das nötige Verständnis dafür direkt da. Ich habe damals schon vor dem ersten Date erwähnt, dass ich ein Stoma habe, und sie war vollkommen ok damit. Sie hat mir angeboten, dass wir uns mit dem Thema Intimität so viel Zeit nehmen können wie ich brauche. Das hat mir sehr geholfen. Genau diese Dynamik hatte ich direkt auch mit Annika.

    Sie nimmt mich an, wie ich bin und gibt mir so einen sicheren Raum für Intimität. Schwierig wird es, wenn die andere Person nicht das nötige Verständnis hat und sich vielleicht sogar ekelt. Das kann und sollte man aber keinem übel nehmen, denn schließlich habe ich mich anfangs selbst vor einem Stoma geekelt. Aber das zeigt, dass es immer noch viel Aufklärung rund um das Thema braucht.

    Paolo, welche Tipps möchtest du anderen Betroffenen an die Hand geben, die sich nicht sicher sind, wie sie mit ihrer Erkrankung in Bezug auf das Thema Partnerschaft umgehen sollen?

    Tipp Nummer eins: Nehmt euch selbst an und reflektiert, wie ihr euch selbst seht. Denn wenn man eine positive Grundeinstellung hat und gut über die eigene Erkrankung informiert ist, gibt das Selbstsicherheit, die auch auf andere ausstrahlt. Es ist ein Unterschied, ob ich sage „Ich bin krank und habe ein Stoma, und das läuft ständig aus und mein Bett ist voller Kot, ist alles ganz furchtbar!“, oder ob ich erkläre „Hey, ich hab ein Stoma, und das hat mir mein Leben gerettet! Ich kann damit alles machen, treibe Sport, gehe auf Reisen. Ich muss alle zwei, drei Tage meine Platte wechseln und jeden Tag den Beutel, aber ist alles kein Ding.“ Selbstakzeptanz ist also extrem wichtig.

    Tipp Nummer zwei: Möglichst früh im Kennenlernprozess ehrlich sein. Klar, man muss sich nicht direkt vorstellen mit „Hallo, ich bin Franzi, bin 23 und hab ein Stoma“, aber spätestens, wenn man merkt, dass gegenseitige Anziehung da ist, sollte man das Thema ansprechen.

    Und Annika, was ist aus deiner Sicht als Partnerin eines Menschen mit chronischer Erkrankung wichtig, wenn man die Partnerin oder den Partner dabei unterstützen möchte, Hemmschwellen in der Partnerschaft abzubauen?

    Man sollte sich mit der Erkrankung auseinandersetzen, um zu verstehen, was es bedeutet, damit zu leben. Und man sollte viel und offen kommunizieren, um den anderen unterstützen zu können. Wir gesunden Menschen haben ja auch schambehaftete Themen; umso krasser muss es für chronisch kranke Menschen sein, darüber zu sprechen. Dass Paolo so offen damit umgeht und in der Öffentlichkeit dazu aufklärt, hat es für uns nur leichter gemacht.

    Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen, die die Diagnose gerade erst bekommen haben, es schwer haben. Umso mehr muss der Partner in die Kommunikation investieren, damit viel Raum für Offenheit geschaffen werden kann. Verständnis und Einfühlsamkeit sind extrem wichtig in diesem Prozess, damit die betroffene Person merkt: Ich bin gut so, wie ich bin, und ich werde genau so geliebt.

    Erfahrt mehr über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Stoma!

    Auf seinen Social Media-Kanälen teilt Paolo viele persönliche Einblicke in sein Leben und klärt unter anderem über die Themen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Stoma auf. Das macht der leidenschaftliche Musiker ganz bewusst auf seine ganz eigene, humorvolle Art und Weise.

    Schaut doch mal bei Instagram oder TikTok vorbei!
    instagram.com/paolo.phoenix | tiktok.com/@paolo_phoenix

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