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    Sind Tabus tatsächlich „der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält“,

    FOTO: Cast Of Thousands via Shutterstock.com

    … wie eine Zeitung im Sommer 2022 titelte, oder sind sie, wie der Aphoristiker Peter Rudl sagte, “finstere Löcher, die ab und an ordentlich gelüftet gehören“?

    Gianna Bacio

    Sexualpädagogin und Autorin

    Fest steht, dass mit Tabus Verhaltensweisen gemeint sind, die aufgrund des gesellschaftlichen Regelwerkes oder der Kultur verboten bzw. zu vermeiden sind, stillschweigend, nicht etwa per Gesetz vorgeschrieben. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2008 sind Sexualität mit 64%, Finanzen mit 61% und Beziehungsprobleme mit 49% aller Befragten die größten Tabuthemen unserer Gesellschaft. Aha! Das sind also die Top drei der Dinge, über die wir kaum oder nur ungerne sprechen. Allesamt Themen, die irgendwie schambehaftet sind, versehen mit der unsichtbaren Headline: „Was mögen denn die anderen denken?“

    Wer sind denn diese anderen? Im Zweifel sind es Menschen, die diese Themen genauso betreffen. Aber anstatt dass wir uns darüber austauschen, geben wir durch unser Schweigen Raum für die Verbreitung von Vorurteilen, Mythen oder schlichtweg Unwissen.

    Unsere Gesellschaft profitiert in vielerlei Hinsicht, wenn Tabus gebrochen werden.

    Nehmen wir mein Lieblingsthema: Sexualität. Hätte es Tabubrecher:innen wie Masters&Johnson oder Helen O’Conell nicht gegeben, würden wir immer noch glauben, Masturbation sei ungesund oder die Klitoris sei nur der kleine Knubbel oberhalb der Vulva. Man denke nur an all das fehlende Bewusstsein und nicht zuletzt an all die verpassten Orgasmen. Wir haben es unseren Vorreiter:innen zu verdanken, dass wir inzwischen überwiegend und zumindest in unserer westlichen Kultur weitestgehend frei und selbstbestimmt leben können. Gleichzeitig gibt es noch so viel zu tun, wenn wir wirklich liberal und unbeschwert über die Themen, die uns bewegen, sprechen möchten. Immer noch bestehen viele Tabus, hin und wieder werden sie in Ironie verpackt, aber oft genug bleiben sie das, was sie lange Zeit waren: eine unausgesprochene soziale Norm, die nicht sonderlich hinterfragt wurde.

    Unsere Gesellschaft profitiert in vielerlei Hinsicht, wenn Tabus gebrochen werden. Es braucht also mehr Menschen wie die eben Genannten, damit wir in Zukunft noch freier leben können. Menschen, die mutig sind, den ersten Schritt zu wagen. Solche, die für ihre Themen einstehen, die mutig gegen den Strom schwimmen und sich trauen, den Mund aufzumachen. Wir alle können diese Menschen sein, und umso schöner, dass im Folgenden Betroffene und Experten Tabus und deren Stigmatisierung thematisieren. Im besten Falle werden Sie nach dem Lesen der Publikation sensibler mit den Themen umgehen, eigene Denkmuster reflektieren und sich mit dem ein oder anderen Vorurteil auseinandersetzen.

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