Ernährung ist ein beliebtes Thema. In Zeitschriften, im Fernsehen, im Internet, in Forderungskatalogen von Ärzteverbänden, bei Krankenkassen und Verbraucherschutzorganisationen finden sich viele hilfreiche Ratschläge, was gesund ist und was man vermeiden sollte. Auf politischer Ebene stehen Reformulierungen, die Ernährungsstrategie und das Gesetzesvorhaben für mehr Kinderschutz in der Werbung im Mittelpunkt. Essen soll dabei so ziemlich alles können. Es soll nicht dick machen, es soll uns gesund halten, selbst gekocht, pflanzenbetont, nachhaltig, fett-, salz-, zuckerarm und ohne Zusatzstoffe sein. Doch wo bleiben der Genuss und die Freude am Essen?
Geschmack ist vielfältig
Fragt man Verbraucherinnen und Verbraucher, dann ist der Geschmack das entscheidende Kriterium bei der Auswahl von Lebensmitteln. Das ist verständlich. Unser Essen muss schmecken, damit wir es auch wirklich genießen können. In der Politik hingegen gibt es Überlegungen, unsere große Lebensmittel- und damit Genussvielfalt zu reglementieren. Lebensmittel sollen weniger süß, weniger salzig und weniger fettig sein. Es geht um Rezepturveränderungen und darum, Lebensmittel „gesünder“ zu machen. Damit verändern sich jedoch nicht nur die Mengen der Inhaltsstoffe, sondern auch der Geschmack. Wenn etwas weniger fettig, weniger süß, weniger salzig ist, schmeckt es entsprechend anders. Aber lässt sich Geschmack so einfach umerziehen? Und wo bleibt der Genuss? Wer bestimmt, was uns zu schmecken hat und welcher Genuss moralisch akzeptiert ist?
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Genuss als moralische Instanz
Etwas erschmecken zu können, heißt noch lange nicht, dass es auch schmeckt. Bei der Bewertung des Geschmacks spielen individuelle Komponenten eine Rolle.
Über dieses Thema haben wir im Podcast „so! was? süßes.“ mit Dr. Silke Lichtenstein und Dr. Karolin Höhl von der Dr. Rainer Wild-Stiftung gesprochen. Dr. Höhl beschreibt hier, dass der Geschmackssinn bittere, süße, salzige und saure Komponenten wahrnehmen kann. Die Verarbeitung der Geschmackswahrnehmung findet im Gehirn statt, was auch erklärt, warum Kinder anders schmecken als Erwachsene. Dies hängt damit zusammen, dass Kinder erst Erfahrungen mit Geschmacksintensitäten und -qualitäten sammeln müssen. Erwachsene brauchen viel geringere Konzentrationen als Kinder, um salzig, bitter oder süß zu schmecken. Je älter die Kinder werden, desto niedrigere Konzentrationen können sie wahrnehmen. Diese Geschmacksentwicklung basiert also auf Erfahrung.
Unsere Geschmacks- und Genussbiografie erwerben wir in der Familie und in der Kultur, in der wir aufwachsen. Hier werden unsere Vorlieben und unser Genussempfinden geprägt. Leider ist das Thema Genuss mit vielen negativen Assoziationen wie Völlerei, Sünde und Laster behaftet. Dabei wird übersehen, dass Genuss auch einen gesundheitsfördernden Aspekt hat. Was als Genuss empfunden wird, sollte daher akzeptiert werden. Genuss ist individuell und Genuss ist auch individuelle Freiheit. Genuss ist nicht verhandelbar.
Zu Gast: Dr. Silke Lichtenstein (Diplom-Oecotrophologin und Gastronomiebetriebswirtin) und Dr. Karolin Höhl (Diplom-Oecotrophologin)
Das Süße-Dilemma
Der süße Geschmack ist beliebt. Für die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ist Süße positiv besetzt – das zeigt die repräsentative GfK eBus®-Verbraucherumfrage „That’s light“, die der Süßstoff-Verband e.V. in Auftrag gegeben hat. Befragt wurden jeweils 1000 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 74 Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Drei Viertel der Befragten gaben an, mindestens einmal pro Woche Produkte mit Süßstoff zu konsumieren, die Hälfte sogar täglich.
Der Diplom-Psychologe und Markenexperte Jens Lönneker (rheingold salon, Köln) erklärt die Beliebtheit damit, dass die Vorteile von Süßstoffen für Verbraucherinnen und Verbraucher unmittelbar und rational auf der Hand liegen: süßer Geschmack bei gleichzeitig wenig Kalorien und weniger Karies. Damit, so der Psychologe, spreche der Süßstoffkonsum auch Fragen des Maßes und des maßvollen Umgangs mit süßen Produkten an.
Die fehlenden Kalorien ermöglichen einen maßvollen Konsum auch bei ansonsten hochkalorischen Produkten. Der Blick auf die psychologischen Hintergründe der Verwendung zeige aber auch, dass Süßstoffe nicht nur rational bewertet werden, so der Experte. Süße werde gefeiert, aber gleichzeitig immer auch mit Blick auf die Kehrseite betrachtet. Lönneker erinnert dieses Bewertungsmuster an die Bilder vom Schlaraffenland und dem Pfefferkuchenhaus bei Hänsel und Gretel. Der Attraktivität des Süßen werden dabei immer wieder auch Nachteile und Gefahren wie Trägheit, Verführbarkeit und sündhaftes Verhalten gegenübergestellt.
Zu Gast: Jens Lönneker, Diplom-Psychologe und Markenexperte; rheingold salon
Die vollständigen Ergebnisse der „That’s light“-Verbraucherumfrage finden Sie hier: suessstoff-verband.info/thats-light
Süßer Genuss bei Diabetes
Alles begann im Jahr 1878, als Constantin Fahlberg bei Laborarbeiten zufällig auf eine Substanz stieß, die extrem süß schmeckte. Der erste Süßstoff – das Saccharin – war entdeckt! Nach zahlreichen Selbst- und Tierversuchen eröffnete er 1887 in Magdeburg die erste Saccharinfabrik der Welt. Als preiswerte Alternative zum damals sehr teuren Zucker erfreute sich der industriell hergestellte Süßstoff großer Beliebtheit. Statt einer großen Erfolgsgeschichte begann ein turbulentes Auf und Ab zwischen wirtschaftlichen Interessengruppen, Steuergesetzgebung, Schmugglerbanden und zwei Weltkriegen. Doch Saccharin konnte seine Bedeutung – vor allem für Diabetiker – immer wieder behaupten. Inzwischen sind in der Europäischen Union insgesamt elf Süßstoffe als sicher eingestuft und als Zusatzstoffe zugelassen.
Süßstoff. Made in Germany. Seit 1887.
Seit jeher haben Süßstoffe für Menschen mit Diabetes den Vorteil, dass sie süß schmecken, aber im Gegensatz zu Zucker keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben und daher ohne Anrechnung auf die Kohlenhydrateinheiten in die tägliche Ernährung integriert werden können. Süßstoffe in Lebensmitteln und Getränken sowie als Süßungsmittel in Form von Tabletten, Flüssig- oder Streusüße können so im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung die Nahrungsmittelauswahl versüßen und die Blutzuckerkontrolle unterstützen.
Zu Gast: Timur Oruz, Feldhockey-Nationalspieler, Olympionike und Diabetes-Botschafter
Süße ohne Kalorien
Wenn Rezepturänderungen möglich sind, helfen Süßstoffe, die Energiedichte von Lebensmitteln zu reduzieren. Je nach Geschmack, Süßintensität und technologischen Eigenschaften werden sie einzeln oder in Mischungen verwendet. Sie unterscheiden sich in ihrer Struktur, ihrer Süßkraft und auch in ihren Abbauwegen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie aufgrund ihrer hohen Süßkraft nur in sehr geringen Mengen zum Süßen eingesetzt werden, den Zähnen nicht schaden, den Blutzuckerspiegel nicht beeinflussen und dabei kalorienfrei sind.
Genuss bleibt
Süßstoffe sind wesentlich süßer als Zucker. Ihre Süßkraft kann sogar mehrere tausendmal höher sein. Daher werden sie nur in extrem geringen Mengen eingesetzt. Süßstoffe
machen ein Produkt also nicht süßer, sondern als Ersatz für Zucker nur deutlich kalorienärmer. Häufig wird jedoch behauptet, dass der Konsum von Süßem die Lust auf noch mehr Süßes steigert. Sensorikexperten bezweifeln dies und kommen zu dem Schluss, dass die aktuelle Studienlage diese Hypothese nicht stützt. Im Gegenteil: Süßstoffe bieten eine große Auswahl an kalorienarmen bzw. -freien süß schmeckenden Optionen, die dabei helfen, eher auf kalorienreiche Getränke und Snacks zu verzichten. Studien zeigen auch, dass das Körpergewicht mithilfe von süßstoffgesüßten Produkten reduziert werden kann, weil die Kalorien fehlen und der süße Genuss bleibt.
Vortrag von Dr. Dipl. Psych. Kathrin Ohla: Der Süße Geschmack: Genetik, Gewöhnung und Präferenz:
Mythos Süßstoff
Im Laufe der Jahrzehnte sind immer wieder Fragen zu Süßstoffen aufgetaucht, von denen sich einige zu regelrechten Mythen entwickelt haben. Manche Mythen halten sich seit Beginn der industriellen Süßstoff-Produktion im Jahr 1887 – und zwar ohne jemals belegt worden zu sein, andere sind aktueller. Einige dieser weit verbreiteten Irrtümer erscheinen zunächst logisch, wenn man die Hintergründe nicht kennt, wie zum Beispiel „Heißhunger durch Süßstoffe“. Eine Aufklärung ist daher auch noch nach über 100 Jahren notwendig und sinnvoll.