Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden nach wie vor nicht ernst genug genommen. Dabei verursachen sie in Deutschland die meisten Todesfälle und können die Lebensqualität Betroffener stark beeinträchtigen. Warum Deutschland dringend umdenken muss und wie Strategien zur Prävention und Behandlung solcher Krankheitsbilder aussehen können, erklärt Prof. Dr. med. Holger Thiele, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehen mit einer höheren Sterblichkeit einher als fast alle Krebsarten. Das muss in den Köpfen der Bevölkerung ankommen, hier muss dringend ein Umdenken stattfinden.
Prof. Dr. med. Holger Thiele
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
Foto: HKM/Ronny Kretschmer
Herr Prof. Thiele, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland nach wie vor die Todesursache Nummer eins. Wo sehen Sie die größten Defizite, wenn es um die Prävention solcher Erkrankungen geht?
Das große Problem ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten den Fokus viel zu wenig auf die Prävention solcher Krankheitsbilder gelegt haben. Wir haben uns sehr stark auf die Prävention von Krebserkrankungen fokussiert, was zweifellos richtig und wichtig ist. Solche umfangreichen und zielgerichteten Screeningprogramme brauchen wir aber dringend auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, denn diese gibt es fatalerweise bisher noch gar nicht.
Leider werden Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor nicht ernst genug genommen. Dabei können sie die Lebensqualität Betroffener stark beeinträchtigen. Wie sehen mögliche Folgen konkret aus?
Es ist tatsächlich so, dass es in unserem Denken verankert ist, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht so schlimm wären. Nach einem Herzinfarkt bekommt man einen Stent eingesetzt und geht nach zwei Tagen wieder nach Hause und macht weiter wie zuvor. Bei einer Herzschwäche wird es einfach hingenommen, dass man eben „ein bisschen Wasser in den Beinen hat“. Sie werden also als leichte, nicht bedrohliche Krankheitsbilder wahrgenommen, was sie de facto einfach nicht sind.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehen mit einer höheren Sterblichkeit einher als fast alle Krebsarten. Das muss in den Köpfen der Bevölkerung ankommen, hier muss dringend ein Umdenken stattfinden.
Was wünschen Sie sich, wenn es um die Wahrnehmung solcher Krankheitsbilder in der breiten Bevölkerung geht?
Der erste Schritt ist die Etablierung eines entsprechenden Herzgesetzes durch das Gesundheitsministerium. Außerdem muss allen Bürgern klar werden, welche Bedrohung der Lebensqualität und letztendlich des Lebens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgeht. Es braucht also ein besseres Gesundheitsverständnis jedes einzelnen.
Meist sind es recht überschaubare Dinge, die jeder einzelne tun kann, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Können Sie uns einige Punkte nennen?
Der erste Punkt ist der Rauchverzicht. Nikotinkonsum ist ein Hauptrisikofaktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem ist regelmäßige körperliche Betätigung ein ganz wichtiger Punkt: Es wird empfohlen, an fünf Tagen in der Woche je 30 Minuten Ausdauersport zu betreiben. Das hilft, Übergewicht zu vermeiden, denn auch das zählt zu den Risikofaktoren. Außerdem sollte man seinen Blutdruck und seinen Cholesterinwert kennen, um ggf. therapeutisch gegensteuern zu können, wenn die Werte zu hoch sind. Neben Bluthochdruck und Diabetes ist ein zu hoher Cholesterinwert einer der wesentlichen Risikofaktoren.
Etwa einer von 170 Menschen in Deutschland hat zudem eine sogenannte familiäre Hypercholesterinämie, die wir hoffen, durch Screeningprogramme frühzeitig zu entdecken. Denn diese Betroffenen müssen so früh wie möglich mit einem Cholesterinsenker behandelt werden. Eines muss jedem und jeder klar sein: Wenn nicht frühzeitig gegengesteuert wird, können eine koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt oder eine Herzschwäche die Folge sein, die lebensbedrohlich werden können. Prävention rettet also buchstäblich Leben!
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