Lina Gürtler, 26 Jahre alt, hat im Oktober 2022 ihr berufsbegleitendes Bachelorstudium in Pflegewissenschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität in Senftenberg begonnen. Im Interview gewährt sie uns einen spannenden Einblick in die täglichen Herausforderungen.
Lina Gürtler
Gesundheits- und Krankenpflegerin
In den kostbaren fünf Minuten pro Patient kann ich mich voll und ganz auf die Bedürfnisse dieser Person konzentrieren.
Sie haben lange auf der Intensivstation gearbeitet, bevor sie in den ambulanten Pflegedienst gewechselt sind. Was waren die Gründe?
Nach vier Jahren auf der Intensivstation wechselte ich im Mai 2023 zu einem ambulanten Pflegedienst. Dieser Schritt hatte mehrere Gründe. Zum einen habe ich festgestellt, dass eine gute ambulante Versorgung dazu beitragen kann, Krankenhausaufenthalte zu verhindern und die Gesundheit der Menschen frühzeitig zu fördern, was bei chronischen Erkrankungen und beginnenden Infektionen von entscheidender Bedeutung ist. Zum anderen war ich auf der Intensivstation von der vorherrschenden Maximaltherapie erschöpft. Es gab Situationen, in denen Menschen trotz ihres Wunsches nach einem anderen Lebensende um jeden Preis am Leben erhalten wurden. Unter ethischen Gesichtspunkten konnte ich diese Art der Versorgung nicht länger unterstützen. In Deutschland werden Therapieentscheidungen leider ausschließlich von Ärzten getroffen, wobei Patienten nur begrenzte Mitsprachemöglichkeiten haben und andere Gesundheitsberufe oft ausgeschlossen sind.
Wie sieht Ihr Arbeitstag im ambulanten Pflegedienst aus?
Meine Tour beginnt um sechs Uhr morgens und umfasst die Betreuung von bis zu 15 Patienten im Laufe des Tages. In den Wohnungen übernehme ich eine breite Palette von Aufgaben, darunter Blutzuckermessungen, Insulinspritzen, Anziehen von Thrombosestrümpfen, Beratungsgespräche, Verbandwechsel und vieles mehr. Obwohl die Zeit für jeden Patienten begrenzt ist, je nach durchzuführender Leistung, empfinde ich sie im Vergleich zur Arbeit im Krankenhaus als weniger stressig. In diesen kostbaren fünf Minuten pro Patienten kann ich mich voll und ganz auf ihre Bedürfnisse konzentrieren, ohne Ablenkungen durch den Stationsalltag oder Kollegen. Diese Flexibilität ermöglicht es mir, individuell auf die Bedürfnisse einzugehen. Mein Dienst endet mit einer Übergabe im Büro, wo ich mich mit meinen Kollegen, die ebenfalls Pflegefachpersonen sind, austausche. Gemeinsam nehmen wir einen ganzheitlichen Blick auf die Patienten und unterstützen sie dort, wo sie Hilfe benötigen.
Welche Krankheitsbilder oder Pflegegründe sehen Sie bei Ihren Patienten, und welche Pflegehilfsmittel nutzen Sie?
Die Krankheitsbilder sind vielfältig. Im Krankenhaus habe ich oft übersehen, dass die gleichen Menschen, die ich dort betreut habe, zu Hause selbst zurechtkommen müssen. Manche haben Diabetes und benötigen unsere Unterstützung beim Blutzuckermessen und Insulinspritzen. Oft ergeben sich jedoch weitere Bedürfnisse, wie der Verbandswechsel bei Fußwunden. Bei steigendem Unterstützungsbedarf im Alltag weisen wir auf die Möglichkeit hin, einen Pflegegrad zu beantragen. Gemeinsam besprechen wir dann, welche Unterstützung wir bieten können.
Jeder Beruf bringt Herausforderungen, aber auch Momente der Zufriedenheit mit sich. Wie empfinden Sie das in Ihrem Beruf?
Im ambulanten Pflegedienst arbeite ich hauptsächlich allein, was anfangs eine Herausforderung war. Obwohl ich jederzeit auf Kollegen zurückgreifen kann, trage ich vor Ort die meiste Verantwortung. Im Vergleich zur Intensivstation finde ich es äußerst bereichernd, den Menschen einen echten Mehrwert zu bieten, indem ich sie aufkläre und zeige, wie sie ihre Gesundheit fördern können. Viele sehen in mir ihren ersten Ansprechpartner und kommen gerne mit Fragen auf uns zu. Es ist befriedigend, Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zu unterstützen, wo sie es am meisten benötigen.